Indonesien-Information Nr. 1/2005 (Osttimor)

 

Wettlauf gegen die Frustration

Osttimor drei Jahre nach der Unabhängigkeit

von Monika Schlicher


20 Tage lang demonstrierten in Osttimors Hauptstadt Zigtausende von Menschen. Aufgerufen zu dem friedlichen Protest hatte die katholische Kirche des Landes. Mit dem Vorhaben, den Religionsunterricht als Pflichtfach an staatlichen Schulen vom Lehrplan zu nehmen, hatte die Regierung sich den Unmut dieser mächtigen Institution zugezogen. Der Konflikt schwelte schon sei Monaten, und es ging um mehr als nur den Religionsunterricht: Die beiden Bischöfe Osttimors forderten in einem Schreiben an den Parlamentspräsidenten nicht weniger als den Rücktritt des Premierministers Mari Alkatiri wegen der schlechten sozialen, wirtschaftlichen und politischen Situation des Landes, die maßgeblich dem diktatorischen Regierungsstil, der um sich greifenden Korruption und der Untätigkeit der Regierung geschuldet sei. Es fielen harsche Worte, doch zu guter Letzt konnte unter Vermittlung von Präsident Xanana Gusmão eine Vereinbarung zwischen der Kirche und der Regierung geschlossen werden. Der Religionsunterricht bleibt Pflichtfach, und Eltern können über die Teilnahme ihrer Kinder entscheiden. Des Weiteren soll eine ständige Arbeitsgruppe aus Vertretern der Regierung, der katholischen Kirche und anderer Religionsgemeinschaften eingerichtet werden.

Die unbeliebten „Mozambiquaner“

Premierminister Mari Alkatiri, und mit ihm weitere Regierungsmitglieder, sind bei vielen nicht beliebt. Gemeinsam ist ihnen, dass sie während der indonesischen Besatzungszeit im Exil in Mozambique weilten. Nach dem Referendum für die Unabhängigkeit kehrten sie zurück und besetzten Schlüsselpositionen in der Partei Fretilin. Bei der Wahl zur Verfassungsgebenden Versammlung 2001 verfehlte die Partei zwar knapp die Zwei-Drittel-Mehrheit, dominiert aber seither das politische Geschehen. Wie keine andere Partei wird die Fretilin im Land mit dem Widerstand gleichgesetzt. Geschickt nutzte sie bei der Wahl die Symbolik des Widerstandes, auch ist sie wie keine andere flächendeckend organisiert. Die Wahl 2001 war wenig von Inhalten und Parteiprogrammen bestimmt, vielmehr war sie rückwärtsgewandt, und die Menschen dankten der Fretilin für die Unabhängigkeit mit ihrer Stimme. Zum damaligen Zeitpunkt war in Aussicht gestellt worden, dass es mit dem Übergang in die Unabhängigkeit eine Parlamentswahl geben sollte. Diese wurde aber aus politischen und finanziellen Gründen nicht durchgeführt, so dass die Verfassungsgebende Versammlung heute das Parlament bildet und die Fretilin die Regierung stellt.

Repressive Methoden

In recht undemokratisch anmutenden Äußerungen unterstreicht Mari Alkatiri häufig den absoluten Führungsanspruch seiner Partei und begegnet Kritik unverhältnismäßig mit repressiven Maßnahmen. Maßnahmen, die in erschreckender Weise Erinnerungen bei der Bevölkerung an die Zeit unter Indonesien wach rufen. Dies bekommt die kritische Presse im Land zu spüren, und ausländische Journalisten werden auch schon mal ausgewiesen. Kurzerhand entzog die Regierung der größten und ältesten Zeitung Osttimors, dem Blatt Suara Timor Loro Sa’e, die Genehmigung zur Teilnahme an Pressekonferenzen und schaltete keine Anzeigen mehr. Und damit nicht genug: die Zeitung musste ihre Redaktionsräume in einem staatseigenen Haus aufgeben. Das Vergehen der Zeitung: sie hatte – wahrheitsgemäß – über Hungersnöte in einigen Landesteilen, bedingt durch Ernteausfälle, berichtet, die Tote gefordert hatten. Die katholische Kirche rief zu Spenden auf und leistete Nothilfe, ebenso das Rote Kreuz. Dahingegen ließ Premierminister Alkatiri verlauten, die Regierung weiche nicht von ihrer Position ab, dass es keinen Hunger in Osttimor gebe, sondern die Probleme auf falsche Ernährung zurückzuführen seien.

Nichtregierungsorganisationen fürchten die Einschränkung von Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Ein entsprechendes Gesetz wurde bereits vorgelegt. Auf die Forderung von oppositionellen Parlamentariern, zum Vorwurf des Missbrauches von Autos im Staatsbesitz für Wahlaktivitäten bei der jüngst durchgeführten Wahl der Bürgermeister Stellung zu nehmen, erwiderte Alkatiri, man möge die Regierung ihre Arbeit machen lassen. „So weit ich weiß, hat die Fretilin 2001 die Wahl gewonnen, und sie wird sie 2007 wieder gewinnen“ /Suara Timor Loro Sa’e, 9.6.2005/. Als unverhältnismäßig kritisierten oppositionelle Parlamentarier die Verhaftung von fünf Jugendlichen samt Dorfchef wegen der Anschuldigung, die Fretilin-Flagge beleidigt zu haben.

Die Erben der Gewalt

Höchst alarmiert zeigte sich Osttimors Präsident Xanana Gusmão bei seiner Ansprache an die Bevölkerung am Unabhängigkeitstag darüber, dass die Fretilin die militante Kampfsportgruppe KORKA in ihre Jugendorganisation aufgenommen hat. KORKA gilt als gewalttätig und wird mit Mord und Brandstiftung in Zusammenhang gebracht. Xanana warnte eindringlich davor und befürchtet, dies könnte als ein schlechtes Beispiel dienen und zur Bildung von Parteimilizen führen. In den letzten Jahren ist es wiederholt zu Bandenkriegen mit Toten zwischen Kampfsportgruppen gekommen. Unter Vermittlung von Xanana wurde am 30.6.2005 eine Vereinbarung erzielt, in der sich 10 von 14 Gruppen darauf verpflichteten, ihre Dispute im Dialog und ohne Gewalt auszutragen. Es wurde ein gemeinsames Forum gegründet. /Lusa: Martial arts groups pledge to end violent clashes with rivals, 30.06.2005; Ruling party shows its strength in double anniversary celebrations, 20.5.2005/

Befürchtungen, Osttimor könnte zu einer Entwicklungsdiktatur werden, bekommen neue Nahrung. Bei den kürzlich abgehaltenen Bürgermeisterwahlen sei es mehrfach zu Einschüchterungen und Drohungen gegenüber der Bevölkerung durch Mitglieder der Fretilin-Partei gekommen, bei denen auch Regierungsmitglieder involviert gewesen seien, prangern oppositionelle Parlamentarier unterschiedlicher Parteien an. Die Fretilin weist diese Vorwürfe strikt zurück. Ein Abgeordneter der demokratischen Partei, Rui Menezes, fürchtet, dass es bei den Parlamentswahlen 2007 zu Terror und Einschüchterung kommen wird, insgesamt zu einem Klima der Instabilität, gekennzeichnet von mangelnden demokratischem Verständnis. /Suara Timor Loro Sa’e, 27.5.2005/

Der schwache Staat

Der Aufbau eines demokratischen Staatswesens benötigt Zeit, zumal Osttimor nicht auf Erfahrungen zurückgreifen kann. Die Vereinten Nationen haben Geburtshilfe geleistet und während der Übergangsverwaltung das Fundament für einen demokratischen Staat gelegt. Als die Übergangsverwaltung 2002 endete, war die Infrastruktur für ein funktionierendes Staatswesen nicht ausreichend eingerichtet. Osttimors staatliche Institutionen sind schwach und anfällig, auf vielen Ebenen sind Regierungsbeamte und staatliche Bedienstete nicht genügend für die Arbeit qualifiziert. Mit der Ausbildung von Fachkräften kämpft der junge Staat in vielen Bereichen. Die Schwächen der Institutionen offenbaren sich am augenscheinlichsten im Sicherheitssektor und im Justizapparat. Die Polizei tut sich hervor durch nicht angemessenen Gebrauch von Gewalt, Überschreitung von Machtbefugnissen und fehlender Disziplin. Es kam sogar zu gewaltsamen Zusammenstößen mit Mitgliedern der Armee. Das Justizwesen ist nahezu gänzlich zusammengebrochen. Es fehlt an qualifizierten Richtern, Anklägern und Rechtspersonal. Über 3.000 Fälle sind inzwischen bei den Gerichten aufgelaufen. Ein Berg, der sich immer schneller auftürmt, seitdem alle angehenden Richter in der Prüfung an der portugiesischen Sprache gescheitert sind.

Die Vereinten Nationen sehen sich in der Verantwortung und unterstützen Osttimor für ein weiteres Jahr, allerdings mit einer deutlich abgespeckten Mission, UNOTIL (United Nations Office in Timor-Leste). Diese besteht aus einem kleinen Büro des Sonderbeauftragten des Generalsekretärs zur Koordinierung. Die Mission umfasst bis zu 45 Berater zur Unterstützung der staatlichen Institutionen, die als kritisch eingestuft werden. Allein 19 dieser Berater werden im Justizwesen eingesetzt. Zwölf von ihnen bilden vier Teams, bestehend aus Richter, Ankläger und Verteidiger. Sie sollen die vier Distriktgerichte übernehmen und helfen, die aufgelaufenen Fälle zu verhandeln. Das weitere Personal wird im Ausbildungsbereich eingesetzt und in der rechtlichen Unterstützung der Regierung und des Büros des Generalstaatsanwaltes. Bis zu 40 weitere Berater sollen die Polizei in der Ausbildung und Ausübung unterstützen; 20 Polizeiberater und 15 Militärberater sind der Border Control Unit zugewiesen. Zusätzlich sollen 10 Menschenrechtsbeauftragte Trainings in der Überwachung demokratischer Regierungsführung und der Einhaltung der Menschenrechte anbieten.

Enttäuschte Hoffnungen

Es ist ein Wettlauf mit der Zeit. Unzufriedenheit und Frustration in der Bevölkerung wachsen. Hoffnungen, mit der Unabhängigkeit würde auch eine Verbesserung ihres Lebensstandards einhergehen, haben sich für die wenigsten bislang erfüllt. Osttimor ist sechs Jahre nach der Zerstörung des Landes durch pro-indonesische Milizen bitterlich arm und unterentwickelt. Es ist das ärmste Land in Asien und nimmt zusammen mit Ruanda einen der untersten Plätze weltweit ein. Fast die Hälfte der Bevölkerung ist arbeitslos, lebt mehr schlecht als recht von 55 Cent am Tag. Zugleich erlebt Osttimor nach der Befreiung des Landes einen enormen Babyboom, doch von 100.000 Geburten verlaufen 850 für die Mutter tödlich. Osttimor hat zur Zeit die höchste Geburten- und auch die höchste Mütter- und Kindersterblichkeitsrate weltweit. Im Durchschnitt hat eine Frau in Osttimor 7,5 Kinder. Nicht unüblich sind Familien mit über zehn Kindern. Erst jüngst hat sich die Kirche in Osttimor für ein Programm der natürlichen Familienplanung ausgesprochen.

Die Hälfte der rund 925.000 Einwohner Osttimors ist unter 15 Jahre alt. Gerade unter der jungen Bevölkerung ist die Arbeitslosigkeit am größten. In den kommenden Jahrzehnten wird sich dieses Problem durch die nachrückende Bevölkerung noch verschärfen und die wirtschaftliche Entwicklung des Landes beeinträchtigen. Ein privater Sektor hat sich bislang kaum entwickelt, ausländische Investitionen bleiben aus. Es fehlt an der nötigen Infrastruktur und der Rechtssicherheit. Die Regierung hat der Armutsbekämpfung hohe Priorität eingeräumt. Doch um die Staatsfinanzen ist es schlecht bestellt, und die Vertragsunterzeichnung über die Ausbeutung der Ölvorkommen mit Australien zieht sich wegen der Klärung der Frage über den Grenzverlauf hin.

„Ich bin sehr stolz, wenn ich sehe, wie unsere Flagge gehisst wird“, so die 21-jährige Studentin Nerinha Pumpido Pereira bei der Feier zum dritten Jahrestag der Unabhängigkeit, „aber ich bin auch unglücklich, weil so viele Menschen noch immer hungern. Sie brauchen Nahrung, sie brauchen Geld, und die jungen Leute brauchen Arbeitsmöglichkeiten, damit sie ein paar Dollar verdienen, um leben zu können.“ /Kyoto: East Timor commemorates 3rd independence anniversary, 20.5.2005/
 

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