Indonesien-Information Nr. 1/2005 (Demokratie)

 

Das Superwahljahr 2004 – ein Rückblick

von Alex Flor


Es war Indonesiens Superwahljahr. Am 5. April 2004 fanden die Wahlen für das nationale Parlament (DPR), die neu geschaffene Vertretung der Provinzrepräsentanten (DPD), und die Parlamente der Provinzen und Kommunen (DPRD) statt. Am 5. Juli folgte die Wahl des Präsidenten und Vizepräsidenten, die erst in einer Stichwahl am 20. September entschieden wurde.

Der große Gewinner bei allen drei Wahlgängen war General a.D. Susilo Bambang Yudhoyono, in Indonesien nach seinen Initialen kurz SBY genannt. Seine neu gegründete „Partai Demokrat“ belegte bei den Parlamentswahlen aus dem Stand mit 7,45 % der abgegebenen Stimmen den fünften Platz. Aus dem ersten Wahlgang zur Präsidentschaftswahl ging SBY ebenfalls als Sieger hervor, verfehlte jedoch die absolute Mehrheit, so dass er in einer Stichwahl gegen die Zweitplazierte, die amtierende Präsidentin Megawati Sukarnoputri, antreten musste. Mit 24 Mio. Stimmen (60,6 %), bzw. ca. 20 % Vorsprung gegenüber Megawati (39,4 %) konnte SBY auch diese Abstimmung klar für sich entscheiden.
 

 „Wir haben nicht verloren, es hat uns nur an Stimmen gefehlt.“ Megawati Sukarnoputri, zitiert in Time, 1. November 2004

„Das ist Demokratie pur!“, bejubeln westliche Regierungen und internationale Wahlbeobachter das Superwahljahr im Staat der 17.000 Inseln, der, gemessen an der Einwohnerzahl, der viertgrößte der Welt ist. Aufgrund zahlreicher Gesetzesänderungen unterschieden sich die Wahlen nicht nur grundlegend von den während der Suharto-Diktatur regelmäßig durchgeführten „Festen der Demokratie“ (pesta demokrasi), sondern auch von den 1999 erstmals seit 1955 durchgeführten freien Wahlen.

Zur Teilnahme an den Parlamentswahlen wurden 24 Parteien zugelassen, 1999 waren es noch 48, während der Diktatur dagegen nur drei. Erstmals wurden die Kandidaten nach dem Verhältniswahlsystem mit offenen Listen gewählt, welches die kleinen Parteien tendenziell benachteiligt. Und erstmals seit Ende der Diktatur Suharto sind sämtliche Abgeordneten vom Volk gewählt, da im Parlament keine Sitze mehr für Abgeordnete des Militärs reserviert sind. Auch die bislang zu größeren Teilen ernannten, bzw. sogenannten „funktionellen Gruppen“ angehörenden, Abgeordneten der Beratenden Volksversammlung (MPR), dem bis vor kurzem höchsten Verfassungsorgan des Staates, wurden ersetzt durch zu 100 % frei gewählte Abgeordnete der neu geschaffenen Vertretung der Provinzrepräsentanten (DPD). Die Befugnisse dieser neuen Kammer sind jedoch eher gering.

Noch einschneidender waren die Veränderungen in Bezug auf die Wahl des Präsidenten, denn erstmals in der Geschichte wurde dieser zusammen mit einem von ihm selbst benannten Vizekandidaten direkt vom Volk gewählt. Das Vorschlagsrecht für die Kandidatenpaare hatten Parteien oder Parteibündnisse, die bei der Parlamentswahl 3 % der Sitze oder 5 % der Stimmen gewonnen haben. Bei künftigen Wahlen wird diese Schwelle bei 15 % der Sitze bzw. 20 % der Stimmen liegen.

Zweifelsohne verdient die logistische Leistung der für die Vorbereitung und Durchführung zuständigen Wahlkommission KPU größte Anerkennung. Rund 150 Millionen Wahlberechtigte waren in den drei Wahlgängen zu insgesamt sechs Abstimmungen aufgerufen. Dafür standen 580.000 Wahllokale bereit – Zahlen, die nur von Indien und den USA übertroffen werden. Zum Vergleich: bei der letzten Wahl zum Deutschen Bundestag waren ca. 61 Mio. Wahlberechtigte in 80.000 Wahllokalen zu den Urnen gerufen (Wahlbeteiligung 79,1 %). Die genannten Dimensionen geben auch Hinweis auf ein im Ausland bislang weitgehend übersehenes Detail: die Bereitstellung von Hunderttausenden Wahlurnen sowie der Vierfarbdruck von schätzungsweise 900 Mio. großformatigern Stimmzetteln (das Gesetz sah vor, dass neben den Namen der Kandidaten auch das Symbol ihrer Partei, bzw. bei den Präsidentschaftswahlen das Bild der Kandidaten auf dem Stimmzettel zu sehen sein musste) sind lukrative Großaufträge für die entsprechenden Firmen. Spekulationen um die Rechtmäßigkeit der Auftragsvergabe konnten daher nicht ausbleiben. Korruption ist ein in Indonesien allgegenwärtiges Thema, das auch im Wahlkampf hohen Stellenwert einnahm.

Wie es scheint, waren diese Spekulationen nicht unberechtigt. Im April 2004 sorgte die Festnahme des prominenten Menschenrechtsaktivisten Mulyana Kusuma, ein Mitglied der KPU, für Schlagzeilen. Mulyana war auf frischer Tat ertappt worden, wie er einem gegen Korruption ermittelnden Beamten einen größeren Geldbetrag übergeben wollte. Im Mai wurde auch der Vorsitzende der KPU, Nazaruddin Sjamsuddin, wegen Korruptionsverdachtes festgenommen. Offenbar beabsichtigte die KPU sich einen Persilschein zu erkaufen, der ihr ordnungsgemäßes Handeln bescheinigen sollte. Nun müssen sich die Mitglieder der KPU gegen den Vorwurf verteidigen, sie hätten bei der Auftragsvergabe für Wahlurnen, Tinte und anderen Bedarf gegen Schmiergeldzahlungen nicht den jeweils preisgünstigsten Anbieter ausgewählt.

Der Wahlkampf und die Themen

Respekt verdienen vor allem Indonesiens Wählerinnen und Wähler. Denn mit wenigen Ausnahmen verliefen sowohl die Wahlkämpfe als auch die Wahlen selbst ohne Zwischenfälle. Dies ist in Indonesien keine Selbstverständlichkeit. Bei den letzten unter der Diktatur stattfindenden Parlamentswahlen 1997 gab es zahlreiche Unruhen und Zwischenfälle, die mehr als 250 Menschen das Leben kosteten. Der nahezu reibungslose Ablauf der Wahlen 1999 und 2004 mit 48 bzw. 24 sich zur Wahl stellenden Parteien straft all diejenigen Lügen, die meinen „zu viel“ Demokratie und ein Multiparteiensystem könnten Indonesien ins Chaos stürzen.

Der ruhige – vor der entscheidenden Stichwahl sogar ausgesprochen müde – Verlauf der Wahlkämpfe kann jedoch auch als Hinweis einer gewissen Politikmüdigkeit verstanden werden. Die Früchte der Reformasi (Reformpolitik) lassen auf sich warten. Trotz einiger neu gewonnener politischer Freiheiten bleibt die wirtschaftliche Lage bedrückend. 40 Millionen sind arbeitslos oder unterbeschäftigt – Tendenz steigend. Spötter kommentieren, SARS sei wieder ausgebrochen. Sie meinen damit jedoch nicht die gefährliche Lungenkrankheit, sondern das „Sindrom Aku Rindu Suharto“ (ich-sehne-mich-nach-Suharto-Syndrom). Zweifelsohne ging es Indonesiens Wirtschaft unter Suharto besser. Dass der Niedergang nach 1997 und seine bis heute nicht überwundenen Folgen ursächlich mit Suharto zu tun haben, ist den meisten zu abstrakt. Seine Regierung nahm in großem Maße Kredite auf, die von in- und ausländischen Banken nur allzu bereitwillig zur Verfügung gestellt wurden. 140 Mrd. US-Dollar Schulden lasten bis heute auf dem Staat, etwa die Hälfte davon sind Auslandsschulden.

Große Erwartungen in eine veränderte Politik nach dem neuerlichen Machtwechsel hat fast niemand. In Gesprächen mit dem Autor vor den Wahlen
ließen die meisten Befragten eher Ängste darüber erkennen, was wohl unter welcher Regierung noch schlimmer werden könnte. Die Wahl einer bestimmten Partei oder eines bestimmten Kandidatenpaares war somit für die Wenigsten eine Herzensangelegenheit, sondern eher die Entscheidung für das kleinere Übel. Dennoch lag die Wahlbeteiligung bei allen Wahlgängen über 75 %. Es sei dahin gestellt, ob dies als Zeichen demokratischer Reife zu werten oder alten Gewohnheiten geschuldet ist. Unter Suharto herrschte Wahlpflicht.

Die Profile und programmatischen Aussagen der politischen Parteien sind kaum ausgeprägt. Insbesondere bei den Parlamentswahlen spielten Inhalte kaum eine Rolle. Die öffentliche Diskussion drehte sich mehr um Namen, Strategien, mögliche Bündnisse und Chancen der verschiedenen Akteure. Die Unterschiede zwischen den Parteien beschränken sich im wesentlichen auf ihr Image – grob unterteilt in die Kategorien nationalistisch oder islamisch – und das ihrer Spitzenkandidaten. Letztere gehören fast ausnahmslos der unter Suhartos Neuer Ordnung geprägten Elite an, die nach Posten und Einfluss strebt. Die meisten bekennen sich zur Reformasi, dem politischen Wechsel nach Suharto. Doch die wenigsten verspüren ausreichend Handlungsdruck, um sich für dringend notwendige grundsätzliche Veränderungen einzusetzen.

Politisch engagierte Menschen, die in gesellschaftlichen Organisationen wie Nichtregierungsorganisationen oder religiösen Vereinigungen aktiv sind, zeigen daher wenig Neigung, sich in einer der existierenden politischen Parteien aktiv zu betätigen. Eine eigene Partei zu gründen ist zwar vergleichsweise einfach, doch die Hürde, die zu nehmen ist, damit diese Partei auch zu Wahlen zugelassen wird, ist fast unüberwindlich. Das Gesetz schreibt vor, dass zu den Wahlen nur Parteien antreten dürfen, die in mindestens zwei Dritteln der Provinzen und dort wiederum in zwei Dritteln der Distrikte Vertretungen nachweisen können und außerdem über eine bestimmte Mindestanzahl von Mitgliedern verfügen. Diese Regel stellt nicht nur höchste Ansprüche an Organisationsgrad und Finanzkraft einer neuen Partei, sondern verhindert auch die Bildung regionaler Parteien. Schlimmer noch: diese Regelung gilt nicht nur für die Wahlen zum nationalen Parlament, sondern auch für die Wahlen der Provinz- und Kommunalparlamente. Eine Partei, die nicht in zwei Dritteln von Indonesiens Provinzen ausreichend vertreten ist, kann demnach nicht einmal einen Stadtrat in einer Kleinstadt stellen.

Ein Blick auf die regionalen Ergebnisse macht deutlich wie unterschiedlich die politische Stimmung in den verschiedenen Provinzen ist. So erreichte die von Staatspräsidentin Megawati Sukarnoputri geführte „Demokratische Partei des Kampfes“ (PDI-P) trotz zweistelliger Verluste in ihrer Hochburg Bali immer noch stolze 56 % der Stimmen. Dagegen lag sie im traditionell islamischen Westsumatra bei gerade mal 3,5 %. In Westsumatra ebenfalls völlig unbedeutend blieb jedoch auch die der größten muslimischen Massenorganisation Nahdlatul Ulama (NU) nahe stehende „Partei des nationalen Aufbruchs“ (PKB), die in ihren Hochburgen in Ostjava stärkste Partei ist. In den Städten Westsumatras dominiert eine andere muslimische Massenorganisation, die Muhammadiyah, das religiöse Leben. Deren ehemaliger Vorsitzender war Amien Rais, der Führer der „Partei des Nationalen Mandats“ (PAN), die folgerichtig in Westsumatras urbanen Zentren hervorragende Ergebnisse erzielte. Die hier beispielhaft deutlich gemachten Unterschiede im Wählerverhalten verwundern nicht in einem Staat mit fünf offiziell anerkannten Religionen und Hunderten verschiedener Sprachen und Ethnien. Sie sollten jedoch Anlass sein, darüber nachzudenken, wie regionalen Charakteristika auch in der Parteienlandschaft zufriedenstellend Rechnung getragen werden kann.

Kaum Unterschiede machten die Wählerinnen und Wähler zwischen den Wahlen zu nationalen, regionalen und lokalen Parlamenten. Die Stimmverteilung bei allen drei Abstimmungen unterschied sich nur marginal. Dieses Phänomen ist auch in Deutschland bekannt. Auch hier unterscheiden sich Ergebnisse von Bundestags-, Landtags- oder Europawahlen meist kaum, wenn sie am selben Tag stattfinden. Bei getrennten Wahlterminen besteht dagegen die Tendenz, in Landtagswahlen die jeweilige Bundesregierung „abzustrafen“, was zu völlig anderen Mehrheiten führt als bei Wahlen am selben Tag. Ob letzterer Effekt auch für Indonesien gilt, muss die Zukunft noch zeigen. Festgestellt werden kann aber bereits zum jetzigen Zeitpunkt, dass die Wähler kaum unterscheiden zwischen Politik auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene. Ebenfalls kann festgestellt werden, dass die Wahl bestimmter Personen nur unwesentlich zum Ergebnis beiträgt. Ausschlaggebendes Kriterium für die Wahlentscheidung ist ganz eindeutig die Parteizugehörigkeit der Kandidatinnen und Kandidaten.

Auf die Besonderheiten der Wahlen in den Krisenregionen Aceh und Papua soll hier nicht weiter eingegangen werden. Lokale Gruppen melden aus beiden Gebieten zahlreiche Unregelmäßigkeiten. Diese sind jedoch nur bedingt nachprüfbar, da insbesondere in der unter Ausnahmezustand stehenden Provinz Aceh der Bewegungsspielraum von unabhängigen Wahlbeobachtern strengstens reglementiert und auf die großen Städte beschränkt war. Die Richtigkeit – und mehr noch die Aussagekräftigkeit – der dortigen Ergebnisse darf angezweifelt werden. Auf das Gesamtergebnis der nationalen Wahlen haben die beiden Gebiete mit 2,5 Mio. (Aceh) bzw. 1,5 Mio. Wahlberechtigten (Papua) nur marginalen Einfluss.
Während man die inhaltliche Diskussion zwischen den Kandidatinnen und Kandidaten für die Legislative fast völlig vermisste, wurden im Wahlkampf um die Exekutive neben reinen Showauftritten der Kandidaten in Musiksendungen („Indonesia Idol“, vergleichbar mit „Deutschland sucht den Superstar“) auch einige Themen benannt. Dringenden Handlungsbedarf sahen die Kandidaten beispielsweise in den Bereichen Wirtschaft, Rechtswesen und Erziehungswesen. Über ein in sich geschlossenes Programm, das insbesondere die Frage des WIE? erklären könnte, verfügte jedoch keines der ursprünglich fünf Kandidatenpaare – oder ließ es zumindest nicht bekannt werden. In der Endphase des Wahlkampfes konnte man den Eindruck gewinnen, die Kandidaten versprechen allen alles. Über nennenswerte ideologische Unterschiede verfügten die Kandidatenpaare ebenfalls nicht. Politische Strömungen wie Sozialdemokratie, Liberalismus usw. sind praktisch nicht existent bzw. in der politischen Landschaft nicht repräsentiert. Alle fünf antretenden Kandidatenpaare setzten dagegen auf eine Mischung aus säkularem Nationalismus und moderatem Islam. Die jeweiligen Partner und ihre programmatischen Aussagen waren weitgehend austauschbar.

Den letztlichen Wahlsieger Susilo Bambang Yudhoyono hätte wohl jeder seiner Konkurrentinnen und Konkurrenten gerne als Vize im eigenen Team gehabt. Doch SBY war ehrgeizig genug, sich nicht zur Nummer Zwei degradieren zu lassen und kandidierte trotz des geringen Rückhalts, den er durch seine kleine Partei PD im Parlament erwarten durfte, als deren Spitzenkandidat. Zu seinem Vize beförderte er Jusuf Kalla, ein aus Südsulawesi stammender Geschäftsmann und prominentes Mitglied der Muslim-organisation NU. Wie SBY selbst war auch Kalla bis kurz zuvor Koordinationsminister im Kabinett Megawati. Seine Benennung war eine für SBY typische politische Meisterleistung, denn er schlug damit seinen beiden gefährlichsten Konkurrenten, Megawati und General Wiranto, gleichermaßen ein Schnippchen. Kalla gehört der immer noch mächtigen Partei Golkar an, die unter Diktator Suharto Regierungspartei war. Auf dem Wahlparteitag von Golkar wollte er sich kurz zuvor noch als deren Präsidentschaftskandidat aufstellen lassen. Nach seiner parteiinternen Niederlage wechselte er das Lager, ohne jedoch deshalb seine Golkar-Mitgliedschaft niederzulegen. So war die Wählerschaft von Golkar gespalten, denn insbesondere auf Sulawesi sah man sich durch Kalla besser vertreten als durch den offiziellen Kandidaten der Partei, Wiranto.

Wie es heißt, hätte auch Präsidentin Megawati Kalla gerne zu ihrem Vize gemacht, aber SBY war ihr zuvorgekommen. So drohte Megawati zunächst auf dem nicht sonderlich populären amtierenden Vizepräsidenten Hamzah Haz sitzen zu bleiben. Schließlich gelang es ihr aber, einen anderen Repräsentanten des Islam, den ehemaligen Vorsitzenden der NU, Hasyim Muzadi, für sich zu gewinnen. Der abgeblitzte Hamzah Haz, der gerne mit Megawati ins Rennen gegangen wäre, entschied sich daraufhin zu einer chancenlosen eigenen Kandidatur für das Amt des Präsidenten.

Der überwältigende Wahlsieg von SBY und Kalla stellte die beiden zunächst vor das Problem, dass sie auf keine Mehrheit im Parlament zurück greifen konnten. Der neue Präsident und sein Vize wurden nur von einer Reihe kleinerer Parteien wie PD (Partai Demokrat) und PKS (Partai Keadilan Sejahtera) gestützt. Die beiden großen Parteien Golkar und PDI-P dagegen waren eine Koalition eingegangen, die über die Mehrheit im Parlament verfügte und in Opposition zur Regierung stand. Mit Geschick und Taktik – und wie viele behaupten auch einer Menge Geld – lösten SBY und Kalla auch dieses Problem binnen Kurzem. Völlig unerwartet warf Kalla bei einem neuerlichen Parteitag von Golkar Ende Dezember in letzter Minute seinen Hut in den Ring und kandidierte als Parteivorsitzender. Nach knapp drei Monaten ohne Teilhabe an der Macht, nahmen die Delegierten Kalla dankbar wieder in den Schoß der Partei auf wählten ihn zum Vorsitzenden. Seither regieren SBY und Jusuf Kalla mit stabiler Mehrheit. Allerdings soll sich seither das Klima zwischen beiden deutlich abgekühlt haben, denn Kalla lässt den Präsidenten gelegentlich spüren, wer im Parlament die meisten Anhänger hat.

Für nicht mit Indonesiens Politik Vertraute mögen diese Ausführungen im Detail schwer nachvollziehbar sein. Sie sollen hier nur zur Verbildlichung dienen, um deutlich zu machen, dass die Bildung der Kandidatenpaare sowie die politische Verortung der Wahlsieger nicht auf Grundlage parteiideologischer Gemeinsamkeiten basiert, sondern einzig das Ergebnis taktischer Erwägungen und Absprachen war. Fast jede andere Kombination aus Kandidat/in und Vizekandidat wäre denkbar gewesen, solange die beiden wesentlichen gesellschaftlichen Lager, Nationalisten und Muslime, in ihnen repräsentiert gewesen wären.

Die Kandidatenpaare

Ein Blick auf die Kandidatenliste zur ersten Runde der Präsidentenwahl zeigt, dass mit Susilo Bambang Yudhoyono und Wiranto gleich zwei der fünf Spitzenkandidaten ehemalige Generäle waren. Ein dritter, General a.D. Agum Gumelar, bewarb sich im Team mit dem amtierenden Vizepräsidenten Hamzah Haz um eben diesen Posten. Und Präsidentin Megawati Sukarnoputri ist zwar Zivilistin, kooperierte jedoch während ihrer gesamten Amtszeit eng mit dem Militär, in dem sie den einzigen Garanten für den Zusammenhalt des von Sezessionskonflikten geplagten Einheitsstaates sieht. Droht Indonesien also eine Neuauflage des Militarismus?
 
 

Die Kandidaten für das Amt des Präsidenten und Vizepräsidenten

Lediglich Amien Rais, der 1998 zur Symbolfigur der Reformbewegung hochstilisierte ehemalige Vorsitzende der muslimischen Massenorganisation Muhammadiyah, ließ sich als antimilitaristische Alternative anpreisen. Der für seine schnellen Wendungen bekannte seinerzeitige Präsident der Beratenden Volksversammlung, des bis vor kurzem höchsten Verfassungsorgans des Landes, verstand es, aus seiner Not eine Tugend zu machen. Wenige Monate zuvor hatte er noch erklärt, er werde auf jeden Fall mit einem Vertreter des Militärs als Vize antreten. Doch als es soweit war, waren alle Erfolg versprechenden militärischen Anwärter bereits anderweitig liiert. Als Ersatz für die obligatorische nationalistische Komponente der Kandidatenpaare diente ihm schließlich Siswono Yudohusodo, ein zweitrangiger früherer Minister unter Suharto.

Die obligatorische islamische Komponente war in den Teams von Hamzah Haz und Amien Rais durch die beiden Spitzenkandidaten selbst abgedeckt. Der damalige Vizepräsident Haz ist Vorsitzender der Islampartei PPP. Haz machte im Ausland vor allem dadurch von sich reden, dass er bis zum Tag des Bombenanschlags auf Bali im Oktober 2002 hartnäckig die Existenz terroristischer Elemente in Indonesien abstritt und radikale Islamisten im Gefängnis besuchte. In Indonesien wird dagegen in erster Linie darüber geredet, ob er offiziell mit zwei, drei oder gar vier Frauen verheiratet ist. Er erhielt gerade einmal drei Prozent der Stimmen.

In Megawatis Team stand ihr Vize Hasyim Muzadi für die islamische Komponente. Er war bis zu seiner Kandidatur Vorsitzender der NU. General Wiranto, gegen den die Staatsanwaltschaft in Osttimor wegen der dort begangenen Verbrechen kurz zuvor einen Haftbefehl erlassen hatte, versuchte sein Image aufzubessern, indem er Salahuddin Wahid, bis dato prominentes Mitglied der Nationalen Menschenrechtskommission und Bruder des früheren Präsidenten und langjährigen Vorsitzenden der NU, Abdurrahman Wahid, zu seinem Vize ernannte.

Neuauflage des Militarismus?

Die Sorge vor einem Rückfall zum Militarismus überwunden geglaubter Zeiten, die Vertreter der Demokratiebewegung und von Nichtregierungsorganisationen umtrieb, wurde wohl in erster Linie beflügelt durch die Kandidatur von General Wiranto. Dass mit Agum Gumelar und SBY zwei weitere Generäle unter den zehn Bewerberinnen und Bewerbern um die höchsten Staatsämter standen, gab dieser Sorge weiteren Auftrieb.

General Wiranto: die schmutzige Weste

Für Menschenrechtler im In- und Ausland steht Wiranto für einige der dunkelsten Kapitel der jüngeren Vergangenheit Indonesiens. Als ehemaliger Adjutant Suhartos galt und gilt er bis heute als dem früheren Diktator loyal ergeben. Wiranto war Befehlshaber der Streitkräfte und Verteidigungsminister in Suhartos letztem Kabinett. Kritiker sehen in ihm einen der Hauptverantwortlichen für die blutigen Auseinandersetzungen, die im Mai 1998 den Rücktritt Suhartos begleiteten. Andere sehen in Wiranto denjenigen, der die notwendige Überzeugungskraft aufbrachte, den störrischen alten Diktator dazu zu überreden, ohne noch mehr Blutvergießen die Macht abzugeben. Man darf annehmen, dass weder das eine, noch das andere völlig verkehrt ist.

Präsident Habibie, der von Suharto persönlich zu seinem Nachfolger erkoren wurde, übernahm Wiranto als Verteidigungsminister und Befehlshaber der Streitkräfte. In die kurze Periode seiner Regierung fiel das Referendum für die Unabhängigkeit Osttimors und die damit verbundenen blutigen Gemetzel. Vom indonesischen Militär aufgebaute, trainierte und ausgerüstete Milizen terrorisierten die dortige Bevölkerung bereits Monate vor der Abstimmung über die Unabhängigkeit. Nach der Durchführung des Referendums, bei dem die Bevölkerung mit überwältigender Mehrheit für die Loslösung von Indonesien votierte, legten die Milizen das Land in Schutt und Asche. Mindestens 1.500 Menschen wurden getötet, Hunderttausende vertrieben. Ein von der regierungsoffiziellen indonesischen Nationalen Menschenrechtskommission (Komnas HAM) eingesetztes Untersuchungsteam stellte in seinem Abschlussbericht die Forderung auf, Wiranto müsse sich seiner Verantwortung stellen. Mitglieder der Kommission kommentierten, es sei beschämend, dass ihr ehemaliger Kollege Solahuddin Wahid von dieser bislang von ihm mitgetragenen Forderung abrückte, nachdem Wiranto ihn zu seinem Teampartner gemacht hatte.

Fast zeitgleich mit der Bekanntgabe der Kandidatur Wirantos erließ die Staatsanwaltschaft in Osttimor wegen der Vorfälle 1999 Haftbefehl gegen Wiranto. Dieser Haftbefehl war begründet und längst überfällig. Der Zeitpunkt hätte jedoch nicht ungünstiger gewählt werden können, denn der Verdacht, dass hier das Ausland in innenpolitische Angelegenheiten Indonesiens einzugreifen versuchte, drängte sich geradezu auf. Es ist daher kein Wunder, dass sich die Regierung Osttimors, die in höchstem Maße von ihrem übermächtigen Nachbarn abhängig ist, mit allen Mitteln bemühte, den Haftbefehl zu kassieren und auf ein konfliktfreies Verhältnis mit Indonesien bedacht ist.

Warum aber nominierte Golkar überhaupt einen derart umstrittenen Kandidaten? Dafür prädestiniert wäre eigentlich der Parteivorsitzende Akbar Tandjung, ein diplomatisch gewandter Vollblutpolitiker, gewesen. Ihm haftete jedoch noch der Geruch eines Korruptionsskandals an, wegen dessen er zu drei Jahren Haft verurteilt worden war. Als Minister im Kabinett Habibie hat Akbar Tandjung nachweislich Gelder in Millionenhöhe veruntreut, die zur Subvention von Reis für die am ärgsten von der Finanzkrise getroffenen Armen gedacht waren. Der Oberste Gerichtshof kassierte zwar im Januar 2004 das Urteil mit der Begründung, Tandjung habe auf Anweisung des damaligen Präsidenten Habibie gehandelt, doch Tandjungs Image in der Bevölkerung war zum Zeitpunkt des Golkar-Wahlparteitages noch immer angeschlagen. Vielerorts war es nach dem Urteil zu lautstarken Protesten gekommen, bei denen die Wählerinnen und Wähler aufgerufen wurden, ihre Stimme nicht an Tandjung zu geben. Die Veruntreuung von Reissubventionen traf die Menschen direkter als die mutmaßlichen Verbrechen Wirantos im weit abgelegenen Osttimor. Letztere sind mehr im westlichen Ausland ein Thema als in Indonesien selbst. In nationalistisch gesinnten Kreisen gereicht ihm eher zum Vorwurf, dass er die Abspaltung Osttimors nicht hatte verhindern können. Der smarte General und Hobby-Entertainer („Erst die Rede oder erst das Lied?“ – „Das Lied!!!“) ist nicht unbeliebt und verkörpert die Figur des starken Mannes, nach dem sich viele nach sechs Jahren des Rumexperimentierens mit der Demokratie zurück sehnten. Von daher war Wiranto der ideale Gegenkandidat zu SBY.

General Susilo Bambang Yudhoyono: die weiße Weste?

Auch SBY kann singen, wie er in Fernsehwahlwerbespots unter Beweis stellte. Seit Jahren erfreute er sich zunehmender Beliebtheit. Er gilt als diszipliniert und tatkräftig. Seine militärische Vergangenheit gereicht ihm keineswegs zum Nachteil, sondern unterstreicht dieses Image. Schon seine körperliche Statur bedient das Klischee vom starken Mann. Die ihm zugeschriebene weiße Weste wird von manchen in Zweifel gezogen. Jakarta 1996, Osttimor und Aceh sind Stationen seiner militärischen Biographie. „Konnte er dort sauber bleiben?“, fragen sich kritische Geister. Konkret nachweisen konnte ihm bisher jedoch niemand etwas. SBY weist die Angst vor einer Remilitarisierung der Politik zurück: Dass Generäle in der Politik eine so große Rolle spielen, sei kein Zeichen der Überlegenheit des Militärs, sondern Ausdruck der Schwäche ihrer zivilen Gegenspieler. Womit er wohl Recht hat. Oppositionelle Gruppen waren in der Frage gespalten, wie sie sich zur Kandidatur SBYs stellen sollten. Kann Megawatis Nähe zum Militär von einem leibhaftigen General noch übertroffen werden? Ist nicht der Zivilist Bush mindestens so militaristisch wie der frühere USA-Präsident General Eisenhower? Bis zuletzt wurde heftig debattiert, ob man die Wahlen boykottieren oder sich für das kleinere Übel entscheiden sollte.

Die Sympathie des Auslands sicherte sich Yudhoyono durch seine klare Haltung gegen den Terrorismus – einem Thema, zu dem sich andere nur ungern äußern. Die Serie schwerer Anschläge in Bali und Jakarta spielte im Wahlkampf praktisch keine Rolle. Mit Ausnahme von Bali, wo der Tourismussektor zwischenzeitlich massiv einbrach, halten die meisten Indonesier andere Probleme für dringlicher. Ein Gefühl direkter Bedrohung haben nur die wenigen, die regelmäßig in großen Hotels, Shopping Malls und anderen von Ausländern frequentierten Einrichtungen verkehren. Zwar sympathisiert kaum jemand mit dem Terror, doch die Aufregung darüber hält sich ebenfalls in Grenzen. Wer spricht schon von den zahllosen Opfern, die bei regionalen Konflikten, bei Bus- und Fährunglücken, Bränden, Überschwemmungen oder Erdrutschen ums Leben kommen? Katastrophen, für die oftmals die allgegenwärtige Korruption verantwortlich gemacht wird. Wie viele sterben an AIDS oder den Folgen von Drogen konsum? Schuld daran sind nach allgemeiner Auffassung sexuelle Freizügigkeit, Prostitution und Kriminalität. Die Stärkung von Recht und Disziplin, die der „starke Mann“ verspricht,
 könnte ein Weg sein, diesen Problemen zu Leibe zu rücken. SBY als Hardliner abzustempeln, griffe zu kurz. Yudhoyono ist intelligent und aufgeschlossen. Zusammen mit seinem jetzigen Vize Kalla trug er maßgeblich zum Friedensabkommen zwischen den Bürgerkriegsparteien auf den Molukken bei. Auch im blutigen Konflikt um die abtrünnige Provinz Aceh bemühte sich SBY um eine politische Lösung. Da die Unabhängigkeitsbewegung jedoch seine harten Bedingungen nicht annehmen wollte, zeichnete er letztlich auf Druck der konservativen Heeresleitung verantwortlich für die Verhängung des militärischen Ausnahmezustandes. Auch als Präsident wird seine Durchsetzungsfähigkeit vom Militärapparat begrenzt, der keineswegs geschlossen hinter ihm steht. Der jüngste Friedensschluss in Aceh wird hier zu einem wichtigen Testfall werden.

Die Sehnsucht nach Ordnung

Wie bereits erwähnt, gaben sich die Wählerinnen und Wähler kaum Illusionen hin, die Wahlen könnten zu grundlegenden Verbesserungen führen. Sie waren enttäuscht von Präsidentin Megawati und der PDI-P. Die Wirtschaftspolitik der Regierung hatte zwar beachtliche Erfolge vorzuweisen, wie etwa die Stabilisierung der Währung, die Eindämmung der Inflation und ein moderates Wachstum, doch diese Erfolge basierten fast ausschließlich auf dem gestiegenen Binnenkonsum und schlugen sich im wesentlichen in verbesserten makroökonomischen Rahmendaten nieder. Die einfache Bevölkerung, ein wichtiges Wählerreservoir der PDI-P, bekam davon wenig zu spüren. Die Menschen klagten über die aufgrund gekürzter Subventionen gestiegenen Preise für Strom, Wasser, Brennstoffe, Transport und Düngemittel bei gleichzeitigem Preisverfall für landwirtschaftliche Produkte. Investitionen blieben aus, Fabriken wurden geschlossen oder nach China und Vietnam verlegt. Mehrere Millionen Menschen sind arbeitslos, genaue Zahlen kennt aufgrund mangelhafter Statistiken keiner. Und längst hatte die PDI-P in Sachen Korruption mit anderen Parteien gleichgezogen oder sie gar überholt. Anstatt entschlossen für die wong cilik, die kleinen Leute, Partei zu ergreifen unterstützte die PDI-P die Wiederwahl von Jakartas Gouverneur Sutiyoso, der Geld für teure Prestigeobjekte ausgibt, aber mit harter Hand „illegale“ Siedlungen räumen lässt und Razzien gegen Dreiradtaxis (Becak) veranlasst. Selbst Megawatis überzeugteste Anhänger sind bitter enttäuscht. Viele von ihnen ließen am 27. Juli 1996 ihr Leben oder wurden verletzt, als nach wochenlangen Protestaktionen Schlägerbanden und Einsatztruppen das Hauptquartier der PDI im Herzen Jakartas gestürmt hatten. Der damals für operationelle Einsätze verantwortliche Militärchef von Jakarta war Generalleutnant Sutiyoso, der heutige – mit den Stimmen der PDI-P wiedergewählte – Gouverneur.

Sechs Jahre nach dem Rücktritt Suhartos hatten die Leute drei Regierungschefs und – besonders unter Präsident Wahid – ständig wechselnde Ministerrunden erlebt. Doch in den Augen der Mehrheit hat sich nur wenig zum Besseren gekehrt. Die junge Demokratie erscheint vielen wie ein nicht enden wollendes politisches Rumexperimentieren. Manches sei sogar schlimmer geworden. Korruption beispielsweise war schon immer ein Problem. Aber unter Suharto war sie zentralisiert. Die Demokratie brachte nicht nur eine Dezentralisierung der politischen Macht, sondern auch die Dezentralisierung der Korruption mit sich. Sie ist längst allgegenwärtig geworden – zumindest wird es so empfunden.

Die Menschen in Indonesien sehnen sich nach einer starken Führung, die dem allem ein Ende setzt und wieder für Ordnung sorgt. Westliche Beobachter beschreiben dies gerne als das Verlangen nach „Guter Regierungsführung“ (good governance) – ein Begriff, an den im internationalen Gebrauch recht klare Kriterien gebunden sind. Es handelt sich dabei jedoch um Kriterien, die westlichem Denken, dem westlichen Wertesystem und der Erfahrung mit westlichen Demokratien entspringen. Basierend auf anderen Traditionen, kulturellen Werten und religiösen Überzeugungen liegen dem Volk in Indonesien andere Lösungsmodelle oftmals näher. Das schließt Überschneidungen und Deckungsgleichheiten mit westlichen Modellen keineswegs aus, aber es macht selbige eben auch nicht zum allein gültigen Maßstab. So schließt die beschriebene Sehnsucht nach Ordnung beispielsweise Anleihen am autoritären Modell der Neuen Ordnung unter Diktator Suharto keineswegs aus. Eine andere Variante ist die Rückbesinnung auf islamische Werte und Vorschriften.

Die Wahlsieger

Genau für die beiden letzt genannten Politikmodelle stehen die Wahlsieger von 2004: für den am autoritären Modell Anleihe nehmenden Führungsstil die Partai Demokrat (PD) des neuen Präsidenten Susilo Bambang Yudhoyono und für die Besinnung auf islamische Werte und Tugenden die Partei für Wohlstand und Demokratie (Partai Keadilan Sejahtera, PKS), die einen modernisierten politischen Islam vertritt. Beide Parteien erzielten bei den Parlamentswahlen aus dem Stand zwischen 7 und 8 % der Stimmen. Die beiden Newcomer teilten sich somit zu fast gleichen Teilen den Verlust, den die PDI-P, der überragende Wahlsieger von 1999, hinnehmen musste. Damals hatte die reformorientierte PDI-P über 33 % erzielt. 2004 erhielt die Partei gerade noch 18,5 % der Stimmen.

Wider Erwartens konnte die frühere Regierungspartei Golkar nicht von den Verlusten der PDI-P profitieren. Nur mit Mühe gelang es Golkar, das Ergebnis von 1999 halten. Und auch die traditionellen islamischen oder islamisch orientierten Parteien PPP, PKB, PBB und PAN konnten, mit kleiner Ausnahme der PBB, keine Stimmgewinne erzielen, sondern mussten sogar leichte Verluste hinnehmen. Der Erfolg der ebenfalls islamischen PKS kann nicht ohne weiteres als Stärkung des Islam verstanden werden. Die größten Zugewinne verzeichnete diese Partei nämlich nicht in den klassisch muslimischen ländlichen Gebieten, sondern vor allem im städtisch-intellektuellen Milieu. Ausgerechnet in Jakarta, einer wahrhaftig nicht dem traditionellen Islam verfallenen Metropole, erzielte die PKS ihr bestes Ergebnis. Sie wurde stärkste Fraktion im Provinzparlament der Hauptstadt.

Wie auch immer man zu PD und PKS stehen mag, der Sieg dieser beiden neuen Parteien beweist, dass die Wählerinnen und Wähler bei aller Enttäuschung über die ausbleibenden Erfolge der Reformasi, die Hoffnung auf einen politischen Neuanfang noch nicht aufgegeben haben. Soziologisch betrachtet mag das Denken eines großen Teils der Wählerschaft rückwärts gewandt sein. Die Entscheidung an den Wahlurnen drückt dennoch den Versuch aus, optimistisch in die Zukunft zu blicken.

Internationale Wahlbeobachtung

Wie bereits 1999 wurden auch die Wahlen 2004 von einer Reihe internationaler Missionen beobachtet. Natürlich kann eine internationale Wahlbeobachtung nur stichprobenartig erfolgen. Und selbstverständlich ist Wahlbeobachtung eine wichtige Aufgabe. Sie fördert Transparenz und motiviert zu einer ordnungsgemäßen Durchführung der Wahlen. Kritisch zu sehen ist jedoch, wenn das Ergebnis der Kurzzeitbeobachtung, die in der Regel lediglich den Abstimmungsvorgang sowie die erste Auszählung der Stimmen im Wahllokal umfasst, in den Medien so dargestellt wird, dass dies einer amtlichen Prüfplakette für vorbildhafte Demokratie gleichkommt. Und mitunter entsteht der Eindruck, dass das Ergebnis der Beobachtung politischen Interessen untergeordnet wird: die Beobachtermissionen sehen genau das, was sie sehen wollen. Der Westen jedenfalls möchte Indonesien als erfolgreiches Modell einer jungen Demokratie ansehen und als Beweis dafür, dass eine islamische Bevölkerungsmehrheit und funktionierende Demokratie sich nicht widersprechen. US-Altpräsident Jimmy Carter, dessen von ihm gegründetes Zentrum sich an der Wahlbeobachtung beteiligt hatte, beschrieb die Wahlen mit den Worten: „A milestone for us, this election also was a significant step forward for democracy worldwide. The people of Indonesia are providing a dramatic example of peaceful political change, and firmly negating the claim that Muslim societies are anti-democratic.“ /International Herald Tribune; July 15, 2004/.

Bewusst oder unbewusst mögen die internationalen Beobachter über viele Schwächen und Unzulänglichkeiten der Wahlen hinweg gesehen haben. Unumstritten ist jedoch eines der wichtigen Kriterien für die demokratische Verfasstheit eines Staates das Recht und die Möglichkeit, eine Regierung abzuwählen. Dass dieses Kriterium in Indonesien erfüllt ist, haben die Wählerinnen und Wähler 2004 eindrucksvoll unter Beweis gestellt. <>
 
 

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