Indonesien-Information Nr. 1/2005 (Dezentralisierung)

 

Fallbeispiel II

Der Konflikt in den Nord-Molukken des Jahres 2001

von Tobias Streit


Von August 1999 bis Ende des Jahres 2000 war die Region der Nord-Molukken Schauplatz von gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen christlichen und muslimischen Gemeinden. Die Folgen dieser tragischen Ereignisse waren verheerend: Mindestens 3.000 Menschen verloren ihr Leben, von den insgesamt 600 Dörfern der Nord-Molukken wurden mehr als 200 Dörfer zerstört. Die Zahl der Vertriebenen wird vom UNHCR auf mehr als 200.000 geschätzt. Die Nord-Molukken wurden faktisch entlang religiöser Zugehörigkeit geteilt. Vor den gewaltsamen Ereignissen der Jahre 1999 und 2000 besaßen die Nord-Molukken, wie auch die Zentral-Molukken, den Ruf einer toleranten multiethnischen und multireligiösen Gesellschaft, so wurde auch immer (wohl verklärend) von der Keluarga Besar Maluku Utara, der „großen Familie der Nord-Molukken“ gesprochen. Christen und Muslime lebten über lange Zeit hinweg in friedlicher Koexistenz. Die Religion bildete nur ein, wenn auch wichtiges, Identitätsmerkmal von mehreren im Zusammenleben der Menschen. Die ethnische und familiäre Zugehörigkeit etwa war ebenso relevant, und es existieren vielfältige Überschneidungen dieser Identitäten und Zugehörigkeiten. Wo liegen die Ursachen des blutigen Konflikte der Jahre 1999 und 2000?

Die Nord-Molukken – Reise, Ankunft und Geschichte

Anfang 2001 hatte ich die Möglichkeit eine Feldforschung in den Nord-Molukken durchzuführen. Ich wollte Einblicke in die Hintergründe dieses „religiösen“ Konfliktes erhalten und hatte beschlossen zu diesem Thema meine Magisterarbeit zu verfassen („Sozialer oder Religiöser Konflikt? Genese des Kao-Malifut-Konfliktes und der kommunalen Gewalt in den Nord-Molukken, Indonesien“).

Bevor ich die Reise antrat hatte ich Kontakt zu Nord-Molukkern in Jakarta und Manado aufgenommen. Ich wollte mir zunächst einen Überblick über die aktuelle Lage verschaffen. In Manado traf ich sehr entgegenkommende Studenten aus Ternate, welche mir versicherten, dass mir in Ternate keine Gefahr drohe. Sie boten mir an, dass einige Freunde von ihnen mich in Ternate abholen könnten und für meine Sicherheit bürgen würden.

Die Fahrt von Manado nach Ternate verlief ohne Probleme, ich hatte mich entschlossen, statt des regulären PELNI-Schiffs ein kleineres Boot zu nehmen. Dies hatten mir die Studenten empfohlen, um somit einer möglichen Kontrolle durch die Armee zu entgehen. Wie sich herausstellte, befanden sich auf dem Boot ausschließlich Händler, welche Lebensmittel, Gebrauchswaren, aber auch Alkohol, nach Ternate überführten, um diese dort mit hohem Gewinn zu veräußern. Nach etwa 6 Stunden Fahrt erhoben sich vor uns die mächtigen Vulkane der Nord-Molukken. Im Vordergrund waren die politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Zentren der Nord-Molukken, die Nachbarinseln Ternate und Tidore mit ihren über 1.700m hohen Vulkanen, zu sehen. Im Süden deuteten sich die Insel Makian und die Bacan-Inselgruppe an. Im Hintergrund dieses atemberaubenden Anblicks verbarg sich die Ost-Küste des „schlafende Giganten“ (so eine lokale Bezeichnung ) der Nord-Molukken: Halmahera, welche in früheren Zeiten auch als Djailolo bekannt war. Diese Inseln gelten als die ursprüngliche und historische Heimat der einst so begehrten Gewürznelke und als das „Herzland“ der Maluku Kie Raha, „die vier Berge der Nord-Molukken“, wie die Nord-Molukken früher auch genannt wurden. Dabei steht jeder dieser Vulkane auch symbolisch für eines der Sultanate der Nord-Molukken: Ternate, Tidore, Bacan und Djailolo. Ihren politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Höhepunkt erlebten die Sultanate im 16. Jahrhundert, als arabische, portugiesische, spanische Händler um die Kontrolle des ertragreichen Gewürzhandels konkurrierten. Unter dem legendären Sultan Babullah (gest. 1583) kontrollierte Ternate zusammen mit dem Konkurrenten Tidore - beide Inseln besitzen jeweils nur knapp über 10 km Durchmesser - fast gesamt Ost-Indonesien, sowie den südlichen Teil der Philippinen. Durch den Gewürzhandel, der später durch die VOC monopolisiert wurde, gelangte auch der Islam ab dem 15. Jahrhundert in die Küstengebiete der Nord-Molukken. Dieser Islam war nicht rein. Er war synkretistisch, vermischt mit lokaler Traditionen (adat), mystischen und magischen Elementen. Die Bevölkerung der Nord-Molukken ist ethnisch sehr heterogen, kultureller Synkretismus ist eines der Hauptmerkmale der Region. Externe Einflüsse als Folge des Gewürzhandels verursachten in den Nord-Molukken eine Vermischung zwischen melanischen, ost-indonesischen, ternatanischen und, in neuerer Zeit christlichen Einflüssen und den indigenen Kulturen.

Angekommen im Hafen von Ternate wurde ich, wie verabredet von zwei Ternatanern, willkommengeheißen. Sie waren Studenten an der Universität Khairun, und zugleich, wie sie mir später erzählten, Mitglieder der NGO FOSHAL, die sich um die Versöhnung zwischen Christen und Muslimen bemühte. Auf der Suche nach einem Losmen (Pension) durchstreiften wir die Stadt. Ternate glich einer einzigen Militärbasis. Überall waren Soldaten der TNI zu sehen, darunter konnte ich die verschiedenen Einheiten erkennen: Armee- und Marineinfanterie stellten das Gros der Soldaten, aber auch KOSTRAD-Einheiten war sehr stark vertreten. Jede wichtige Straße, jedes wichtige Gebäude wurde durch schwer bewaffnete Soldaten bewacht. Durch die Ausrufung des zivilen Notstandes in den Molukken und Nord-Molukken im Juni 2000 besaß die.TNI weitreichende Vollmachten in den Molukken und Nord-Molukken. Die Nord-Molukken werden faktisch durch den komandan sektor, den Militäroberbefehlshaber, regiert.

Die Stadt Ternate selbst, die sich unterhalb des noch aktiven Vulkans Gamalama befindet, platzte förmlich aus allen Nähten. Durch die Ankunft von muslimischen Flüchtlingen aus dem christlich dominierten Nord-Halmahera wuchs die Einwohnerzahl von ursprünglich ca. 60.000 schlagartig auf ca. 160.000 an (Angaben UNHCR 2001). Dementsprechend katastrophal war die humanitäre Situation in der Stadt. Viele der Flüchtlinge hatten sich in den ehemaligen Häusern der geflohenen Christen notdürftig eingerichtet. Was früher eine Kirche war, fungierte nun als Pos Komando Tobelo (Posko), Pos Komando Galela etc. Nachdem ich im Südteil der Stadt (dessen Einwohner, wie ich später bei einem Besuch des jogugu, dem Stellvertreter des Sultans von Ternate, erfahren sollte, überwiegend „anti-Sultan“ waren. Ich war sozusagen unbewusst im Zentrum der Anti-Sultan-Bewegung gelandet) ein Losmen gefunden hatte, machte ich mich zusammen mit meinen Begleitern auf, um die nötige Besuche bei den verschiedenen offiziellen Stellen (Kantor Imigrasi, Polisi komandan sektor etc) zu erledigen und die Stadt zu erkunden. Unverkennbar hatte Ternate schwer unter den Christenpogromen im November 1999 und den bürgerkriegsähnlichen Zuständen, die zwischen Anhängern des Sultans von Ternate und seinen Gegnern im Dezember des gleichen Jahres ausbrachen, gelitten. Alle Kirchen und viele der chinesischen Geschäfte, welche das ökonomische Herz der Nord-Molukken darstellten, waren bis auf die Grundmauern abgebrannt. Aber auch reine muslimische Viertel waren teilweise vollkommen zerstört. Was war passiert?

Die Konfliktebenen

Bei der Beantwortung dieser Frage stößt man auf sehr komplexe Spannungsfaktoren, welche sich aus internationalen, nationalen, regionalen und lokalen – interagierenden – Konfliktebenen ergeben. Diese können hier nur sehr kurz angedeutet werden. Ausgelöst durch den Rücktritt von Präsident Suharto im Mai 1998 und der Amtsübernahme von Präsident Habibie kam es in der Übergangszeit 1998/1999 zu signifikanten nationalen und regionalen Transformationsprozessen. Die wichtigsten nationalen und regionalen Rahmenbedingungen, welche die politische und soziale Situation der Nord-Molukken des Jahres 1999 prägten waren a) der Ausbruch des Ambon-Konfliktes im Januar 1999 in den Zentral-Molukken, b) die Verlagerung von weitreichender politischer und finanzieller Autorität von der Zentralregierung an die Regionen infolge der Gesetze zur Regionalen Autonomie, c) die Abspaltung der Nord-Molukken von der Provinz Maluku. und d) die schon seit 1975 bestehenden lokalen Spannungen zwischen muslimischen Transmigranten und einer lokalen Bevölkerungsgruppe (sowohl Christen und Muslime) im Norden von Halmahera. Verknüpft mit den diesen genannten Bedingungen lassen sich in den Nord-Molukken des Jahres 1999 prinzipiell drei zentrale Konfliktebenen, welche sich teilweise überlagerten und sich gegenseitig beeinflussten, unterscheiden:

Politischer Konflikt – Machtkampf im Kontext der Regionalen Autonomie

Zum ersten, die Ebene des politischen Konfliktes in den Zentren der Nord-Molukken, Ternate und Tidore. Die Hauptakteure dieses regionalen Konkurrenzkampfes um Posten, Geld und regionale Macht waren (und sind) auf der einen Seite die Interessengruppe des Sultans von Ternate - die sich auf die „traditionelle“ Autorität stützt und zugleich aus Anhängern eines synkretistischen „traditionellen“ Islams besteht - und auf der anderen Seite die Vertreter der modernistisch-islamischen Bildungs- und Verwaltungselite, welche infolge der Installierung von ICMI (der islamischen Intellektuellenvereinigung) im Jahr 1990, fast alle Schlüsselpositionen innerhalb der Verwaltung und den Bildungseinrichtungen besetzten. Letztere Gruppe besteht hauptsächlich aus ethnischen Makian und Tidorern.

In Anbetracht der Neuordnung der Verwaltung durch die Ernennung der Nord-Molukken zur eigenständigen Provinz versuchten beide Seiten wichtige Posten für sich zu beanspruchen, darunter das Amt des neu zu wählenden Gouverneurs der Provinz Maluku Utara. So erklärte der Sultan von Ternate, legitimiert durch seinen
adat-Titel „Herrscher der Molukken“ (Kolano Maluku), dass er sich als der „natürliche“ Gouverneur der Maluku Kie Raha betrachte. Im Anbetracht des Ressourcenreichtums der Nord-Molukken (Holz, Gold, Kupfer, Nickel und Meeresressourcen) und der Tatsache, dass die Verwaltung und Kontrolle dieser Ressourcen - infolge der Regionalen Autonomie - nun in den Händen der Regionen liegt, ist der Zugang zu regionalen Verwaltungsposten eine äußert lukrative Aussicht für die politische Elite der Nord-Molukken. Ethnische und religiöse Rhetorik erwiesen sich in diesem Macht- und Verteilungskampf als eine erfolgreiche Ressourcenmobilisierungsstrategie. Stark vereinfacht, stellte die modernistische Bildungs- und Verwaltungselite vor allem die Einheit der umat islam – insbesondere vor dem Hintergrund des Ambon-Konfliktes – und zudem den traditionellen Dualismus zwischen Ternate und Tidore in den Vordergrund. Der Sultan von Ternate sprach dagegen seine potentielle Wählerschaft in erster Linie mit der historischen, auf adat-Gesetzen basierenden, Verbundenheit an und betonte zugleich seine Rolle als „Freund“ und „Beschützer“ der Christen in (Nord-) Halmahera.

Dieser politische Konflikt des Jahres 1999 zog sich mitten durch die Stadt Ternate: der „indigene“ Norden der Stadt war „Pro-Sultan“ (hier steht auch der Sultanspalast), wohingegen der Süden, welcher durch Einwanderer aus Makian und Tidore dominiert wurde, „Anti-Sultan“ eingestellt war. Um seine Machtbasis zu verstärken gründete der Sultan eine „traditionelle Armee“ (pasukan adat) oder auch „gelbe Armee“ (pasukan kuning; die.Farbe „Gelb“ ist die traditionelle Farbe des Sultanates von Ternate, aber auch die Farbe der früheren Regierungspartei GOLKAR; der Sultan von Ternate war zugleich Vorsitzender der GOLKAR in den Nord-Molukken).

Sozialer Konflikt – lokaler Ressourcenkonflikt zwischen autochthoner und immigrierter Bevölkerung

Zum zweiten, der lokale soziale Konflikt zwischen Transmigranten und einer lokalen Bevölkerungsgruppe im peripheren Norden von Halmahera. Aufgrund eines befürchteten Vulkanausbruchs auf der Insel Makian im Jahr 1975, beschloss die Verwaltung der Region der Nord-Molukken die gesamte Bevölkerung der Insel – gegen deren Willen und teilweise mit Polizeigewalt – in das christlich dominierte Nord-Halmahera, genauer nach Malifut im Kecamatan Kao, umzusiedeln. Die dortige lokale Bevölkerung, die Kao, sind eine wanderfeldbaubetreibende Inlandsgruppe, die zu etwa 70% Christen und zu 30% Muslime sind. Die umgesiedelten Makian sind eine muslimische Küstenbevölkerung. Die Ankunft der Makian erhöhte den demographischen Druck und führte zu einer Verknappung der Ressourcen Land und Wasser und verschob zudem die ethnische und religiöse Demographie in der Region Kao. Der Wettbewerb um Land, Wasser und die auch politische Vorherrschaft führte zu permanenten sozialen Spannungen zwischen beiden Gruppen. Eines der Hauptmerkmale dieser Konflikte war der fortwährende Aufeinanderprall von parallel existierenden Rechtssystem. Aus der Perspektive der lokalen Bevölkerung sollten lokale adat-Rechte den Zugang zu den knappen Ressourcen regeln, wohingegen sich die Transmigranten auf staatliches indonesisches Recht beriefen. Dieser soziale Konflikt um Land, Wasser und Recht wurde zusätzlich durch den Faktor überlagert, dass das Gebiet der Makian in Nord-Halmahera mit der Umsiedlung 1975 durch die regionalen Behörden in Ternate den verwaltungsrechtlichen Status eines Kecamatan erhielt. Allerdings wurde dieser Status nicht durch die Zentralregierung in Jakarta bestätigt. Die Folge war eine (vielleicht durch Jakarta beabsichtigte?) Konfusion über den verwaltungstechnischen Status des Transmigrationsgebietes: die Kao betrachteten das Gebiet der Makian weiterhin als Teil des Kecamatan Kao, die Makian beharrten darauf, dass ihr Gebiet ein Kecamatan sei. Jakarta schwieg.

Die schon sehr angespannte Lage wurde zudem weiter angeheizt als 1997 genau auf jenem strittigen Gebiet ein riesiges Goldvorkommen entdeckt wurde. Dieses wurde durch das mulinational operierende Bergbauunternehmen, Newcrest Mining Inc. (Australien), ausgebeutet. Als im Mai 1999 die Regierung Habibie per Gesetz das Transmigrationsgebiet der Makian, inklusive der Goldmine, zu einem offiziellen Kecamatan ernannte, war dies der letzte Funke, der die Situation zur Explosion brachte. Im August 1999 brachen Kämpfe zwischen Kao und Makian um die Kontrolle des Gebietes aus, die im Oktober des gleichen Jahres einen vorläufigen.Höhepunkt erreichen sollten: eine Armee von mehreren tausend Kao-Kriegern, sowohl Christen wie auch Muslime, griffen gleichzeitig die Transmigrationssiedlung Malifut an. Die gesamte Stadt wurde, mit Ausnahme der Moscheen, dem Erdboden gleich gemacht. Die Makian, etwa 10.000- 15.000 an der Zahl, flohen voller Panik nach Ternate. Da die Kao rote Stirnbänder trugen und die Makian sich weiß kleideten, ging man, ausgehend durch inkorrekte Berichterstattung der Medien, von einem religiösen Hintergrund aus. Die Farbe „Rot“ ist die traditionelle Farbe von Krieg und magischer Unverwundbarkeit in vielen Gebieten der Molukken und wird auch mit einer autochthonen Identität und Kampfesgeist identifiziert. Die Farbe „Weiß“ zeigt innerhalb muslimischer Orthodoxie Gebet, Reinheit, Martyrium und Tod an.

Religiöser Konflikt – Ambon und die Folgen für die Nord-Molukken

Diese symbolischen Farbencodes führen zur dritten Konfliktebene: dem Bürgerkrieg zwischen Christen und Muslimen in den Zentral-Molukken. Am 19. Januar 1999 brachen in Ambon-Stadt blutige Kämpfe zwischen Christen und Muslimen aus, welche sich im kollektiven Gedächtnis der Muslime als Idul Fitri Berdarah „blutiges Idul Fitri“ eingebrannt haben. Auf den Strassen von Ambon kämpften christliche Jugendliche mit roten Stirnbändern gegen muslimische Jugendliche, welche sich mit weißen Stirnbändern kennzeichneten. Ausgehend von Ambon breiteten sich die Kämpfe in Richtung Süd- und Süd-Ost-Molukken aus. Aufgrund der Tatsache, dass die Nord-Molukken zunächst von dieser Gewaltwelle verschont blieben, strömten mehrere Flüchtlingswellen in die Region der Nord-Molukken, Muslime flohen nach Ternate, Christen nach Nord-Halmahera. In ihrem „Gepäck“ brachten die von Ereignissen traumatisierten Flüchtlinge furchtbare Geschichten über die Gräueltaten der „Roten Gruppe“ bzw. „Weißen Gruppe“ mit.

Eskalation - Transformation des sozialen Konfliktes in einen Religionskrieg

In Ternate kam es Ende Oktober 1999 zu einer Bündelung und Überschneidung dieser dargestellten Konfliktebenen. Die Ankunft der Flüchtlinge aus Malifut in Nord-Halmahera verschärfte die durch den politischen Machtkampf schon angespannte Lage in Ternate. Durch eine gezielte Provokation kam zur Eskalation. Ein, wie sich später herausstellte, gefälschter Brief der Kirchenleitung der Protestantischen Kirche der Molukken (Ambon) an die Kirchenleitung in Tobelo, dem christlichen Zentrum in Nord-Halmahera, suggerierte, dass die Zerstörung von Malifut der Startschuss eines christlichen Kreuzzuges gegen die Muslime den Nord-Molukken sei. Der Brief, der durch Megaphone in Tidore und Ternate öffentlich verlesen wurde, suggerierte weiter, dass Tidore und Ternate die nächsten Ziele der christlichen Gotteskrieger (laskar kristus).sein. In dem Pamphlet hieß es weiter, dass man die Schaffung eines christlichen Staates in Ost-Indonesien bestehend aus den Molukken, West-Papua und Nord-Sulawesi zum Ziel habe. Auch die Abspaltung des christlichen Osttimor wurde unter diesem Aspekt betrachtet. Als direkte Folge dieses gefälschten Briefes kam es im November 1999 zu Pogromen gegen die christlichen Minderheiten in Tidore und Ternate, wobei in Ternate die pasukan adat des Sultans versuchten die Christen, und insbesondere die Chinesen, vor dem muslimischen Mob zu schützen. Viele der Christen fanden Zuflucht im Sultanspalast. Aufgrund seiner Rolle als „Beschützer“ der Christen erhielt der Sultan vom Vatikan einen hohen Verdienstorden. Insgesamt wurden bei Verfolgungen ca. 40 Christen getötet. Nach den gewalttätigen Unruhen in Ternate übernahm die „traditionelle Armee“ des Sultans von Ternate die Kontrolle über die Stadt, da die TNI die Lage nicht kontrollieren konnte. Die Ereignisse in Tidore und Ternate lösten eine Spirale der Gewalt aus, welche zu einer zunehmenden Polarisierung der christlichen und muslimischen Gemeinden in den Nord-Molukken führte. Im Dezember 1999 kam es zu einer furchtbaren Eskalation des, nun religiös motivierten, Konfliktes in Nord-Halmahera. Bei den dortigen Kämpfen in Tobelo und Galela fanden, je nach Angaben, zwischen 850 bis zu 2.000 Menschen innerhalb weniger Tage den Tod. Opfer waren überwiegend Muslime, dabei soll es in verschiedenen Orten zu Massakern der christlichen Mehrheit an der muslimischen Minderheit gekommen sein. Diese Ereignisse lösten in Jakarta am 7. Januar 2000 eine Großdemonstration „zum Schutz der umat islam“ aus, bei dem führende Poliker den jihad ausriefen und in deren Folgezeit sich die laskar jihad bildeten. Unabhängig von den Ereignissen in Nord-Halmahera, erreichte der politische Machtkampf Ende Dezember in Ternate und Tidore seinen Höhepunkt. In den Straßen von Ternate brachen offene bürgerkriegsähnliche Kämpfe zwischen der „gelben Armee“ des Sultans von Ternate und der „weißen Armee“, die sich überwiegend aus Makian und Tidorern zusammensetzte, aus. Muslime kämpften gegen Muslime.

Während meiner Zeit in Ternate hatte ich die Möglichkeit mit Studenten der Universität Khairun in Ternate über die Ereignisse zu diskutieren. Die einhellige Meinung der Studenten war, dass es sich ursprünglich nicht um einen religiösen Konflikt handelte. Vielmehr machen sie regionale Politiker und auch die Armee und gezielte Provokationen, wie etwa dem gefälschten Brief (dessen Urheberschaft bis nicht geklärt werden konnte), für die Eskalation der Konflikte verantwortlich. Viele der Studenten, die sehr stolz auf ihre Herkunft und die lange Tradition der Toleranz der Nord-Molukken waren, konnten nicht begreifen wie diese Tragödie in ihrer Heimat hatte passieren können. Viele plädierten für eine Rückkehr der Christen und Chinesen und für einen Neuanfang der „keluarga besar maluku utara“. Ihr Ziel sei es, eine moderne Zivilgesellschaft aufzubauen, um somit die religiöse und ethnische Rhetorik der korrupten und machtbesessen Politiker zu entkräften. <>
 
 

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