Indonesien-Information Nr. 1/2005 (Aceh)

 

„Ohne Frieden kein Wiederaufbau“

Interview mit dem Leiter der Wiederaufbaubehörde, Kuntoro Mangkusubroto *

 

von Anett Keller


 
Als Verantwortlicher für die Koordinierung des Wiederaufbaus in Aceh, wie haben Sie sich gefühlt, als die Nachricht vom geplanten Friedensvertrag in Helsinki Sie erreichte?

Kuntoro: Ich war natürlich sehr froh. Der Friedensvertrag, der hoffentlich am 15. August ratifiziert wird, wird unsere Arbeit hier enorm erleichtern.

Sind vor Ort denn schon positive Auswirkungen der Helsinki-Gespräche spürbar?

Kuntoro: Noch nicht. Noch ist der Vertrag ja nicht rechtskräftig und der Konflikt dauert an. Noch gibt es immer wieder Schusswechsel. Zwei ausländische Helferinnen sind vor ein paar Wochen verletzt worden. Sie haben jedoch auch das Nachtfahrverbot missachtet. Generell gab es bislang kaum Störungen des Wiederaufbaus. Die Häuser, die bislang aufgebaut wurden, liegen nicht in Konfliktgebieten. Doch dass wir nach der Unterzeichnung dann auch nachts Transporte fahren können und damit besser in die entlegenen Gebiete kommen, wird sich sehr schnell und positiv auf den Wiederaufbau auswirken.

In den letzten Jahren sind Friedensverhandlungen zwischen der indonesischen Regierung und der GAM wiederholt gescheitert. Was lässt Sie diesmal so optimistisch sein, dass es dauerhaft Frieden geben wird?

Kuntoro: Wir müssen einfach daran glauben. Die Acehnesen leiden seit 50 Jahren unter diesem Konflikt. Ohne Frieden können wir die Provinz nicht wieder aufbauen. Ich bin optimistisch, weil ich glaube, dass diese schreckliche Naturkatastrophe die Menschen hier verändert hat. Sie wollen gemeinsam Aceh bestmöglich wieder aufbauen. Ich hoffe sehr, dass ich mit dieser Einschätzung Recht behalte.

Bei ihrem Amtsantritt als Chef der Wiederaufbaubehörde für Aceh und Nias vor drei Monaten machten Sie Schlagzeilen mit dem Ausspruch: „Hier ist überhaupt noch kein Wiederaufbau geschehen.“ Wie ist der Stand der Dinge heute?

Kuntoro: Inzwischen wissen die Organisationen, die hier arbeiten, wo es lang geht, weil wir ihnen eine Richtung geben. Es herrscht nicht mehr diese Verwirrung, wer was darf. Den Flüchtlingen war lange nicht klar, dürfen sie nun zurück an ihre alten Wohnorte oder nicht. Inzwischen ist klar, dass sie dürfen. Für den Hausbau ist alles vorbereitet. 3.500 im Bau befindliche Häuser sind zwar nicht viel im Vergleich zu den benötigten 120.000. Zwar wird es vielleicht noch ein, zwei Monate dauern, bis der Wiederaufbau sichtbare Formen annimmt – aber es bewegt sich was. In den letzten drei Monaten wurden 3,2 Milliarden US-Dollar internationale Hilfsgelder frei gegeben. Das ist bereits ein enormer Teil der insgesamt zugesagten 7 Milliarden US-Dollar.

Fährt man hier in Aceh durch die Dörfer, bekommt man den Eindruck, dass es vielerorts sehr langsam voran geht. Viele Tsunami-Opfer klagen über eine zu langsame Bürokratie, aber auch über internationale Organisationen. Die würden kommen, wichtige Meetings veranstalten, viel versprechen und dann wieder verschwinden.

Kuntoro: Diese Probleme sind doch verständlich. Wir haben eine halbe Million Flüchtlinge, die in den Baracken, in Zelten oder bei Verwandten leben. Seit sieben Monaten erleben sie, wie Organisationen zu ihnen kommen, sie fragen, was sie benötigen. Dann sind die wieder weg und es passiert erst mal nichts. Das verursacht natürlich Enttäuschung. Aber die Organisationen müssen sich ja erst mal einen Überblick verschaffen, wo noch Hilfe gebraucht wird. Deswegen erstellen wir eine Datenbank, war was wohin bauen will. Wenn am geplanten Ort noch Hilfe benötigt wird und noch keine andere Organisation aktiv ist, können sie los legen. Und wenn sie nicht schnell genug sind, bekommt eine andere Organisation unsere Zustimmung.

Wie gut funktioniert die Koordinierung im Bereich des Häuserbaus, wo die Konkurrenz zwischen den Organisationen enorm ist. „Unser Haus ist viel besser als deren Haus“, das hört man hier häufiger von konkurrierenden NGO-Vertretern. Inzwischen gibt es Kritik, dass es viel zu viele Hilfsgelder im Bereich Hausbau gibt. Wie verhindern Sie schlechte Koordination und Overfunding?

Kuntoro: Overfunding ist leicht zu verhindern, weil wir ja wissen, wer wo aktiv werden will. Außerdem gibt es einen Minimalstandard für die Häuser: Sie dürfen nicht kleiner als 36 Quadratmeter sein. Kleine Abweichungen nach oben tolerieren will. Wenn also jemand 42 oder 45 Quadratmeter bauen will, bitteschön. Aber wenn es jemand übertreibt und auf einmal 60 Quadratmeter baut, dann werden wir dem Grenzen setzen. Was die Haustypen betrifft, gibt es viele Philosophien. Die einen bauen aus Holz, die anderen aus Stein, einige planen Häuser auf Stelzen. Wir wollen das gar nicht regulieren. Wir haben uns lediglich ausbedungen, dass in einem Dorf jeweils die gleichen Häuser gebaut werden. Wenn jeder ein anderes bekommt, gibt es hinterher garantiert Krach.

Der Eindruck trügt also, dass möglicherweise zu viel in den Hausbau geht und weniger attraktive Projekte, wie zum Beispiel Abwassersysteme nicht so stark gefördert werden.

Kuntoro: Nein, dieser Eindruck ist richtig. Zur Summe der Häuser muss man aber sagen, dass wir noch in der Planung sind. Es ist schwer zu planen, weil wir sehr unterschiedliche Zahlen über die Flüchtlinge haben. Manche sagen, es sind 570.000, manche sprechen von 520.000, manche gar nur von 420.000 Menschen. Es ist ja auch nicht leicht, die zu zählen, weil nicht alle in den Lagern leben, sondern viele bei Verwandten. Vielleicht wird derzeit also zu viel geplant, UNHCR will ja alleine schon 35.000 Häuser bauen. Aber wenn es dann an die konkrete Projektkonzipierung geht, werden wir Überhänge einschränken.

Wie beurteilen Sie bislang die Zusammenarbeit mit den deutschen Gebern und den implementierenden Organisationen?

Kuntoro: Da gibt es überhaupt keine Probleme. Wir arbeiten sehr gut mit der deutschen Regierung zusammen und auch mit den NGOs. Die Deutschen haben beispielsweise das Zainoel Abidin-Krankenhaus in Banda Aceh wieder aufgebaut, mehrere Technikfachschulen werden von Indogerm unterstützt, dafür sind wir sehr dankbar.

In ihrer Dankesrede bei der Pressekonferenz ein halbes Jahr nach dem Tsunami haben Sie mehrere Geberländer besonders erwähnt. Deutschland war nicht dabei. Auch auf dem anschließend aufgenommenen Foto mit Geberländern ist kein deutscher Vertreter zu sehen. Sie haben einmal erwähnt, die Bürokratie sei nicht nur in Jakarta, sondern auch in Berlin sehr ausgeprägt. Heißt das, dass die Deutschen schlicht zu langsam waren?

Kuntoro: (lacht) Nicht zu langsam, aber vielleicht zu strukturiert. Sie sind schon sehr, sehr steif. Anfangs waren sie verwirrt, dass sie nun nicht mehr mit Jakarta reden müssen, sondern direkt hier mit uns in Banda Aceh. Wir sind ja gerade dafür gegründet worden, dass man sich schnell hier vor Ort mit uns verständigen kann. Das hat wohl einige Unsicherheit ausgelöst und vielleicht waren es einige einfach schon zu lange gewöhnt, nur mit den Ministerien in Jakarta zu reden.

Vor wenigen Tagen haben Sie Vertreter des Europäischen Parlaments empfangen. Was erwarten Sie langfristig von den Europäern?

Kuntoro: Vor allem erwarte ich, dass Aceh nicht im nächsten Jahr schon wieder von der Agenda verschwunden ist. Die Parlamentarier haben zugesagt, dass die europäischen Hilfen nicht so schnell versiegen werden. Außerdem haben sie mich nach Brüssel eingeladen, um dort konkretere Pläne für die kommenden Jahre zu besprechen. Damit wollen sie wohl auch ihre jeweiligen Regierungen daran erinnern, dass der Wiederaufbau in Aceh und Nias nicht in ein, zwei Jahren erledigt sein wird.
 
 

KUNTORO MANGKUSUBROTO, 58, leitet seit drei Monaten die nach dem Tsunami neu geschaffene indonesische Wiederaufbaubehörde für Aceh und Nias. Der Ingenieur und Wirtschaftswissenschaftler war von 1998 bis 1999 Minister für Energie und Bergbau und seitdem Leiter der staatlichen Elektrizitätswerke.
 
 

* das Interview erschien bereits in gekürzter Fassung in der taz vom 29.07.2005.
 
 
 

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