Indonesien-Information Nr. 1/2005 (Aceh)

 

Frieden für Aceh. Insy’allah.

von Alex Flor


Gibt es das Gute im Schlechten? Hat das unermessliche Leid, das der Tsunami über Aceh brachte, den Weg zu einer Lösung des seit 30 Jahren währenden bewaffneten Konfliktes geebnet? Am 15. August unterzeichneten Vertreter der indonesischen Regierung und der Unabhängigkeitsbewegung GAM (Gerakan Aceh Merdeka) in Helsinki ein Friedensabkommen.
 

Nun kommen sie schon wieder! Militärbeobachter aus Europa und den ASEAN-Staaten sollen den am 15. August in Helsinki vereinbarten Frieden überwachen. Erst vor ein paar Monaten waren die letzten ausländischen Truppen aus Aceh abgezogen. Die Anwesenheit von mehreren Tausend Soldaten aus den USA, Australien, Europa, Japan und anderen Staaten war für manche Indonesier ein traumatisches Erlebnis – böse Zungen sagen, vielleicht schlimmer noch als die Tsunami-Welle. Mit letzterer ließ sich schließlich ganz gut leben, vor allem wenn man weit weg vom Katastrophengebiet wohnt. Die Präsenz der ausländischen Truppen dagegen ging für nationalistisch gesinnte Kräfte – und derer gibt es in Indonesien viele – ans Eingemachte. Hilflos mussten sie zusehen, wie eine bunt gewürfelte internationale Armada Aceh geradezu überrollte. Ausgerechnet Aceh! Kämpfen dort nicht seit Jahr und Tag Separatisten gegen den Einheitsstaat? Endlich hatte sich das indonesische Militär entschlossen, diesem Treiben ein für alle Mal ein Ende zu bereiten. Im Mai 2003 wurde das Kriegsrecht über die Provinz verhängt, das ein Jahr später vom zivilen Notstand abgelöst wurde. Ausländern war seither praktisch jeglicher Zugang verwehrt.

Der Tsunami am 26. Dezember 2004 stellte alles auf den Kopf. Hunderttausende verloren ihr Leben, ihre Nächsten, ihr Obdach. Die Dimension des menschlichen Leids lässt sich nur schwer in Worte oder gar Zahlen fassen. Weltweit versuchten es die Medien trotzdem und lösten damit eine zweite Welle ungeahnten Ausmaßes aus: die Hilfswelle.

Es wurde viel berichtet, Wesentliches und Nebensächliches. Sogar die Landkarte habe sich durch das schwere Beben, welches den Tsunami ausgelöst hatte, verändert, konnten wir erfahren. Ganz Sumatra habe sich um mehrere Meter verschoben. Doch neben der geografischen hatte sich auch die politische Landkarte geändert. Nicht nur um ein paar Meter, sondern um Lichtjahre. Nichts war mehr, wie es vorher war. Und im fernen Jakarta – aber nicht nur dort – hatte man Schwierigkeiten, dies zu begreifen.

Die indonesischen Streitkräfte (TNI), bis eben noch unangefochtene Gebieter über die Provinz, wurden von der Tsunami-Welle ebenso unvorbereitet getroffen wie alle anderen. Wahrscheinlich Tausende ihrer Soldaten wurden getötet, genaue Zahlen sind nicht bekannt. Stützpunkte und Baracken wurden ebenso ein Opfer der Flut wie die Behausungen der Zivilbevölkerung. Die TNI zeigte sich paralysiert und unfähig, auf die Situation zu reagieren. Es dauerte Tage, bis ein erster Erkundungsflug über die Stadt Meulaboh und die Insel Simulue stattfinden konnte, um sich ein erstes Bild von der Lage dort zu machen. Bis dahin war jeglicher Kontakt in diese am schwersten betroffene Region unterbrochen. Tagelang wusste niemand, ob es dort noch Überlebende gab oder ob möglicherweise der gesamte Küstenstrich und die vorgelagerten Inseln vom Meer verschlungen worden waren. Die zur Kriegführung entsandten Soldaten verfügten nicht über die notwendige Ausrüstung, um sich vom einen auf den nächsten Moment als Katastrophenhelfer zu betätigen. In den Augen einiger Betonköpfe war natürlich auch daran das Ausland schuld: war nicht der Grund für die mangelnde Einsatzfähigkeit der Luftwaffe, das wegen der Menschenrechtsverletzungen in Osttimor verhängte und immer noch nicht aufgehobene Waffenembargo der USA? Wegen fehlender Ersatzteile ist ein Großteil der TNI-Luftwaffenflotte nicht flugtauglich.

Internationale Helfer, zivile wie militärische, sprangen ab dem Jahreswechsel in die Bresche. Die TNI musste zusehen, wie Ausländer de facto das Kommando übernahmen und klammerte sich in Reaktion darauf genau an selbiges: wenigstens die Kommandogewalt behalten! Alle Aktivitäten in Aceh wurden der Koordination der TNI unterstellt. Manche Hilfsorganisationen äußerten sich durchaus positiv über die Zusammenarbeit mit den indonesischen Militärs. Aber fast alle beklagten sich – wenngleich nur selten öffentlich – über erschwerte Arbeitsbedingungen und vor allem über mangelnde Planungssicherheit. Wie ein Damoklesschwert hing die Drohung der Ausweisung aller ausländischen Helfer lange Zeit über sämtlichen Projekten. Nationalistische Kreise teilten das Unbehagen der TNI über die Anwesenheit der vielen Ausländer. Viele hegten Misstrauen und vermuteten hinter der großzügigen Hilfe verdeckte Interessen. Uneigennützige Hilfe – noch dazu im Ausland – ist für viele Indonesier ein schwer vorstellbares Phänomen, obgleich nahezu alle großen Religionen, auch der Islam, mehr oder weniger verbindlich dazu aufrufen. Aber vielleicht sind es ja gerade die Religionen, die hier Interessen verfolgen? Ist die Tsunami-Hilfe womöglich eine besonders elegante Variante christlicher Missionierung oder anderweitiger religiöser Unterwanderung? Tatsächlich tummelten sich in Aceh Vertreter verschiedener Sekten, Evangelikale, Scientologen, Islamisten und andere, die zweifelhafte Ziele verfolgten und als scheinbarer Beweis für genannte Thesen herhalten mussten.

Weitaus problematischer waren freilich die ausländischen Truppen. Alleine die USA hatten Tausende Soldaten im Einsatz. Ein Flugzeugträger und ein Sanitätsschiff der US-Flotte hatte seine Fahrt in Richtung Irak unterbrochen und vor Banda Aceh geankert. Unermüdlich flogen die Amerikaner Einsätze, um die Bevölkerung mit Trinkwasser und Lebensmitteln zu versorgen. Die Menschen in Aceh waren dankbar für die geleistete Hilfe und selbst Amerika gegenüber kritisch eingestellte Beobachter mussten den Yankees eine überaus professionelle Arbeit bescheinigen. Dennoch muss man keinen Hang zu Verschwörungstheorien haben, um hinter den Militäreinsätzen andere als nur rein humanitäre Interessen zu vermuten. Verschiedene Staaten wussten die Gunst der traurigen Stunde für sich zu nutzen und verbanden das Notwendige mit dem in ihren Augen Nützlichen. So konnten beispielsweise die USA ihr wegen des Irak-Krieges angeschlagenes Image aufpolieren. Keine PR-Maßnahme hätte hierfür besser gewählt sein können, als ein groß angelegter Hilfseinsatz in einer zutiefst islamischen Region wie Aceh. Japans Militär dagegen musste sich seit Ende des zweiten Weltkrieges mit einer eher symbolischen Existenz begnügen. Doch 60 Jahre später stehen auch in Tokio die Zeichen auf Normalisierung. Normal, im Sinne von: wir möchten so sein wie alle anderen auch. Und wir wollen mitreden. Auch in globalen Sicherheitsfragen. Aceh war der erste selbstständige Auslandseinsatz der japanischen Streitkräfte. Rein humanitär und positiv besetzt. So wie seinerzeit der erste Auslandseinsatz der Bundeswehr in einem Lazarett in Kambodscha. Deutschland ist inzwischen ein paar Schritte weiter. Voll bewaffnete Soldaten der Bundeswehr stehen heute in Afghanistan und dies ist möglicherweise noch nicht das Ende der Entwicklung. Nach Ansicht von Militärexperten war der Einsatz in Aceh eine willkommene Übung für die zivil-militärische Zusammenarbeit, die in Zukunft weltweit stärkeres Gewicht einnehmen wird.

Doch richten wir den Fokus von der Weltpolitik zurück nach Aceh. Hier hatte die Unabhängigkeitsbewegung GAM bereits vor Jahren die Forderung nach Entsendung ausländischer Truppen erhoben. Ähnlich wie der unrealistische Wunsch nach einem Referendum über die Unabhängigkeit wie 1999 in Osttimor, erhoffte sich die GAM – noch ferner von jeglicher Realität – auch die Entsendung einer internationalen Eingreiftruppe. Die GAM träumte von einer zweiten Interfet (International Forces for East Timor), die Truppe, die damals unter australischem Kommando die Unabhängigkeit für Osttimor durchsetzte. Völlig unerwartet schien dieser Traum nun plötzlich Wirklichkeit geworden zu sein. Plötzlich waren sie da, die Soldaten aus Amerika und Australien, während die TNI Nägel kauend zuschauen musste. Für letztere war dies freilich ein Grund mehr, die Ausländer kritisch zu beäugen und letztlich ultimativ zum Verlassen Acehs aufzufordern.

Als Frist wurde der 26. März 2005 genannt. Zum selben Datum sollte auch ein Masterplan zum Wiederaufbau der Katastrophengebiete in Aceh und auf Nias vorgelegt werden. Das Zwischenspiel der Ausländer sollte damit beendet sein: Danke für Eure Hilfe. Wir kommen ab jetzt alleine klar.

Tatsächlich hatte sich die Lage bis Ende März soweit entspannt, dass die von den Militärs geleisteten Nothilfemaßnahmen nicht mehr benötigt wurden. Die nun beginnende Wiederaufbauphase kann sehr gut von zivilen Organisationen bewältigt werden. Keine der ausländischen Militärexpeditionen kam somit in ernsthafte Verlegenheit, die Konfrontation zu suchen und auf eine Verlängerung des Ultimatums zu drängen. Ein paar Tage vor dem 26. März erklärten alle ihre Missionen für beendet und verließen Aceh ohne diplomatische Querelen: Danke für Eure Gastfreundschaft. Auf Wiedersehen.

Befürchtungen, nach dem Abzug der Militärs seien als nächstes nun die ausländischen Hilfsorganisationen an der Reihe, bewahrheiteten sich glücklicherweise nicht. Obgleich Helfer immer wieder von Behinderungen und Bedrohungen berichteten, entspannte sich die Lage seit dem 26. März spürbar. Die Koordination des Wiederaufbaus wurde in die Hände einer eigens hierfür geschaffenen Behörde unter Leitung des ehemaligen Ministers Kuntoro – eines Zivilisten – gelegt (s. Interview in diesem Heft). Der freie Zugang nach Aceh und der Verbleib des Personals der Hilfsorganisationen scheinen gesichert. Die überwiegende Mehrheit dieser Organisationen ist dennoch sichtbar bemüht, sich auf die Durchführung ihrer Projekte zu konzentrieren und keine Angriffsflächen für neuerliche Behinderungen durch die Behörden zu bieten. Kommentare zur politischen Situation sind aus diesen Kreisen selten zu vernehmen. Die Sicherheitslage wird – oftmals wider besseren Wissens – schön geredet. So äußerte sich der Leiter des Deutschen Roten Kreuzes in Aceh in einem Interview überaus positiv über die Lage: „Es ist eine Region, in der es Aufständische gibt – die GAM, die hier gegen die Regierung kämpft. Gelegentlich bekommen wir davon etwas mit – allerdings eher aus den Nachrichten. Wir sind selbst nicht betroffen“ /tagesschau.de, 24.6.05/. Zwei Tage vor dem Interview war Eva Yeung, eine Mitarbeiterin des Roten Kreuzes von Hongkong, bei einer Überlandfahrt von Unbekannten angeschossen worden und erlitt schwere Verletzungen im Nackenbereich. Wie das genannte Beispiel zeigt, kann nicht erwartet werden, dass sich die Hilfsorganisationen – von lobenswerten Ausnahmen abgesehen – darum bemühen, ihre karitativen Projekte mit Ansätzen zur Konfliktlösung zu verbinden. Dies ist mehr als bedauerlich, denn über einfache Maßnahmen wie die gezielte Einbindung von Betroffenen in Fragen der Planung und Durchführung könnte die Arbeit der Organisationen zu einer Stärkung der Zivilgesellschaft beitragen – und damit indirekt einen Beitrag zur friedlichen Konfliktlösung leisten.

Politische Probleme, so werden einige der Angesprochenen argumentieren, gehören ja nicht zu ihrem Aufgabenbereich. Dafür gibt es ja Helsinki! Statt die Möglichkeiten vor Ort auszuschöpfen, verweist man lieber auf die am anderen Ende der Welt liegende finnische Hauptstadt. Unter Vermittlung der von Finnlands Expräsident Martti Ahtisaari geleiteten Crisis Management Initiative (CMI) fanden dort seit Anfang Januar formelle Verhandlungen zwischen der indonesischen Regierung und der GAM statt. Entgegen weit verbreiteten Gerüchten waren diese Gespräche keine Reaktion auf die Tsunami-Katastrophe, sondern waren bereits lange zuvor eingefädelt worden. Die verheerende Wirkung des Tsunami mag allerdings die Einsicht beider Seiten in die Notwendigkeit einer politischen Lösung des Konfliktes gestärkt und somit zum Erfolg der Verhandlungen beigetragen haben.

Ein erster Durchbruch wurde bereits in der zweiten von nur fünf Verhandlungsrunden erzielt. Die GAM schwor dem Ziel der Unabhängigkeit ab und konnte der Regierung im Gegenzug das damals noch nicht näher definierte Recht auf „Selbstregierung“ abhandeln. Der Begriff war zunächst nicht mehr als eine Formel, die den Verhandlungsprozess vor einem jähen Ende bewahrte. Denn sowohl die Begriffe „Unabhängigkeit“ wie auch die von Indonesien angebotene „Sonderautonomie“ waren damit vom Tisch – zwei Stolpersteine, an denen frühere Friedensbemühungen gescheitert waren. Die geschickte Vermittlung Ahtisaaris basierte zudem auf dem Grundsatz: „Nichts ist beschlossen, bevor alles beschlossen ist.“ Keine Seite konnte somit frühzeitige Erfolge feiern, weil sie glaubte, ein wichtiges Teilergebnis bereits in der Tasche zu haben.

Einige Zugeständnisse seitens der Regierung, wie beispielsweise die Verwendung von „nationalen“ Symbolen, einer eigenen Flagge und einer eigenen Hymne scheinen ebenso wenig ein Problem gewesen zu sein wie die Einigung über die Ausübung bestimmter politischer Ämter durch Vertreter der GAM. Der Widerstand der indonesischen Nationalisten machte sich dagegen an der Frage des Rechts auf die Bildung lokaler Parteien fest. Verschiedene im Parlament vertretene Parteien, insbesondere die Partei der ehemaligen Präsidentin Megawati Sukarnoputri, PDI-P, übten heftigste Kritik und drohten die Verhandlungen noch kurz vor Abschluss scheitern zu lassen. Der nationalistische Flügel sieht in der Bildung lokaler Parteien den ersten Schritt in Richtung Unabhängigkeit und befürchtete einen Dominoeffekt, falls auch in anderen Regionen lokale Parteien gegründet würden. Die Bildung lokaler Parteien verstoße gegen die Verfassung, wie auch gegen das Parteien- und das Wahlgesetz, hieß es. Diese Gesetze besagten, dass es nur nationale Parteien geben dürfe, die ihren Hauptsitz in Jakarta haben und über eine bestimmte Mindestanzahl von Provinz- und Kreisverbänden verfügten.

Tatsächlich aber machen weder die Verfassung noch das Parteiengesetz entsprechende Vorgaben. An der unstrittig verfassungsgemäß durchgeführten Wahl 1955 nahmen eine ganze Reihe lokaler Parteien teil. Und das Parteiengesetz gesteht prinzipiell jeder Gruppe von mindestens 50 Leuten, die älter sind als 21 Jahre, das Recht zu, eine Partei zu gründen. Die oben genannten – und zumindest aus deutscher Sicht grundsätzlich fragwürdigen – Einschränkungen bezüglich der Vertretung in den Provinzen und Kreisen finden sich lediglich im Wahlgesetz, welches das Recht der politischen Parteien auf Teilnahme an Wahlen regelt. Es ist absehbar, dass genau dieses Gesetz aus anderen Gründen vor den nächsten nationalen Wahlen 2009 sowieso geändert werden wird. Letztlich wurde in Helsinki jedoch eine andere Regelung gefunden, die das Recht auf Bildung lokaler Parteien ausschließlich in Aceh erlaubt und somit keinen Präzedenzfall für andere Regionen darstellen kann. Für den Moment eine erfreuliche Regelung, da somit der Durchbruch für den Friedensvertrag erreicht werden konnte. Auf längere Sicht verbaut diese Regelung jedoch möglicherweise notwendige demokratische Reformen des Wahlrechts für ganz Indonesien.

Die in den letzten Tagen häufig gestellte und in der Tat wichtigste Frage ist jedoch, ob der in Helsinki vereinbarte Frieden halten wird. Zwei Komplexe dürften hier von entscheidender Bedeutung sein: zum einen die Bekämpfung der Ursachen des Konfliktes und zum anderen die Schritte zur Implementierung des Abkommens.

Grob vereinfacht ist eine der Ursachen des Konfliktes die Unzufriedenheit darüber, dass die Erlöse für die in Aceh reichlich vorhandenen Rohstoffe nur zu einem geringen Anteil in die Provinz zurückflossen. Die ungezählten Menschenrechtsverletzungen, denen die Bevölkerung im Lauf des dreißig Jahre währenden Konfliktes ausgesetzt waren, sind inzwischen mindestens gleichbedeutend. Obgleich nicht ursächlich für den Konflikt verantwortlich, wurde das darüber entwickelte Unrechtsempfinden akkumulativ zu einer elementaren Triebfeder des Widerstandes gegen die indonesische Militärherrschaft und ist heute als einer der wesentlichen Gründe, die den Konflikt am Leben erhalten, anzusehen.

Das Helsinki-Abkommen sieht vor, dass 70% sämtlicher Erträge aus der Gewinnung von Rohstoffen in die Provinz zurück fließen sollen. Damit unterscheidet sich die getroffene Vereinbarung nicht wesentlich von den bislang geltenden Regelungen über die Sonderautonomien für Aceh und Papua. Das Beispiel Papua, wo sich die Lage in diesen Tagen dramatisch zuspitzt, zeigt, dass eine solche Regelung ihr Ziel verfehlt, wenn die zusätzlichen Mittel nicht bei der Bevölkerung ankommen. In Papua versickert ein Großteil der zusätzlichen Einnahmen in der lokalen Bürokratie. Wie eine ähnliche Entwicklung in Aceh vermieden werden kann, ist dem Text des Helsinki-Abkommens nicht zu entnehmen.

Zur Frage der Menschenrechte sieht das Abkommen die Amnestie und vollständige Rehabilitierung all derer vor, die wegen ihrer Aktivitäten für die GAM belangt wurden. Des weiteren soll ein Menschenrechtsgerichtshof sowie eine Wahrheits- und Versöhnungskommission für Aceh eingerichtet werden. Die Praxis der Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen in anderen Landesteilen sowie in Osttimor lässt darauf schließen, dass eine seriöse Vergangenheitsbewältigung auch in Aceh nicht zu erwarten ist. Von beiden Konfliktparteien begangene Menschenrechtsverletzungen werden der Straflosigkeit anheim fallen, Täter werden amnestiert. Im Rahmen der Versöhnungskommission wird man sich gegenseitige Entschuldigung aussprechen. Die Opfer werden vergeblich auf Gerechtigkeit warten und die Wurzeln des Konfliktes bleiben unberührt.

Der für die Umsetzung des Abkommens kritischste Punkt ist das gegenseitige Vertrauen. Vereinbart wurde eine in mehreren Schritten zu erfolgende Demilitarisierung. Die Kämpfer der GAM sollen ihre Waffen abgeben, die dann sofort vernichtet werden. TNI und Brimob (mobile Einsatzkräfte der Polizei) werden in gleichen Schritten alle „nicht-organischen“ Truppen, also Truppen, die nicht fest in Aceh stationiert sind, zurückziehen.

Ähnliche Vereinbarungen wurden bereits 2000 („Humanitäre Pause“) und 2002 (COHA – Cessation of Hostilities Agreement) getroffen. Beide Abkommen scheiterten in der entscheidenden Phase ihrer Umsetzung. Das Misstrauen überwog und beide Konfliktparteien nutzten die Waffenpause, um die getroffenen Vereinbarungen zu unterlaufen. Selbst wenn sie sich diesmal an die Vereinbarung halten sollten, besteht die Gefahr von Missverständnissen oder Provokationen, die schnell zu einer neuen Eskalation führen können.

Aceh ist längst zu einer Kriegsökonomie verkommen. Nicht alle, die TNI oder GAM zugerechnet werden, stehen wirklich unter deren Befehl oder fühlen sich diesem Befehl verpflichtet. Angehörige beider Seiten leben in einer Grauzone zu ganz normaler Kriminalität. Wie wird die TNI reagieren, wenn vorgebliche GAM-Kämpfer an einer Straßensperre Geld oder Waren erpressen? Wie wird GAM reagieren, wenn vorgebliche TNI-Angehörige Hab und Gut von Dorfbewohnern konfiszieren?

Trotz freudiger Erwartung des Friedens ist die Stimmung in Aceh in diesen Tagen gespannt. Bewaffnete Zwischenfälle gehören noch längst nicht der Vergangenheit an. Und manch einer wird möglicherweise versuchen, vor dem offiziellen Frieden noch schnell die ein oder andere private Rechnung zu begleichen.

Es ist gut und wichtig, dass neutrale Beobachter der EU- und ASEAN-Staaten den Frieden überwachen werden. Aber ein paar hundert unbewaffnete, mit keinerlei Kompetenzen zur Verhängung von Sanktionen oder dergleichen ausgestattete Beobachter werden verzweifelt wenig tun können, wenn es tatsächlich wieder ernst werden sollte. Gemessen an ihren äußerst geringen Einflussmöglichkeiten haben sich die Beobachter schon im Vorfeld reichlich unbeliebt gemacht. Nun kommen sie schon wieder!, lamentieren die Nationalisten, die nichts mehr fürchten als die Fremdbestimmung durch irgendwelche Ausländer.

Dennoch: das Abkommen von Helsinki ist ein Sieg der Vernunft, der Politik und des Friedens, die es von allen Seiten nach Kräften zu unterstützen gilt. Es gibt keine andere Lösung. <>
 
 

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