Indonesien-Information Nr. 1/2004 (Pressefreiheit)

 

Recht nach Kolonialherrenart

von Anett Keller


Im Vorfeld der Wahlen versuchen Politiker und ihnen nahe stehende Geschäftsleute, kritische Medien mundtot zu machen. Ex-Diktator Suharto hatte oppositionelle Medien einfach geschlossen. Heute, in der „Reformära“, sind die Mittel subtiler. Man besinnt sich auf alte Gesetzesparagrafen.

„Die Freiheit der Medien ist ein Bürgerrecht.“ „Zensur oder Sendeverbote finden nicht statt.“ Diese Grundsätze sind nachzulesen im 1999 verabschiedeten, indonesischen Pressegesetz. Soweit die Theorie. In der Praxis sehen sich indonesische Pressevertreter derzeit einer Klagewelle ausgesetzt, die beispiellos in der Geschichte der Republik Indonesien ist.

Das bislang spektakulärste Urteil erging, von der westlichen Presse beinahe unbemerkt, am 20. Januar in Jakarta. Eine der größten Tageszeitungen, Koran Tempo (Koran heißt Zeitung) wurde zu einer Schadenersatzzahlung von 1 Million US-Dollar verurteilt. Der Kläger: Tomy Winata, berühmt-berüchtigter Chef der Artha-Graha-Firmengruppe mit besten Verbindungen zu Politik und Militär. Die Klage: Verleumdung. Koran Tempo erscheint im Verlag, der auch die wöchentliche Zeitschrift Tempo, Indonesiens kritischstes und unter Ex-Präsident Suharto verbotenes Nachrichtenmagazin, herausgibt.

Koran Tempo habe in einem Artikel den Eindruck erweckt, Tomy Winata habe eine Spielhölle eröffnen wollen, so die Anklage. Glücksspiel ist in Indonesien zwar überall verbreitet, aber offiziell verboten – was den Geschäftsmann um seinen guten Ruf fürchten ließ. „Besagter Artikel ist verleumderisch und stellt eine Beleidigung eines respektierten Mitgliedes unserer Gesellschaft dar”, so die Richter in der Urteilsbegründung. Neben der Millionenstrafe soll die Zeitung in acht anderen Tageszeitungen und sechs Magazinen sowie 12 Fernsehsendern an drei aufeinander folgenden Tagen Entschuldigungen schalten. Verhandelt wurde nach einem Paragrafen des Strafgesetzbuches, der noch aus der holländischen Kolonialzeit stammt.

„Diese Entscheidung ist der definitive Versuch von einflussreichen Geschäftsleuten, unsere Medien mundtot zu machen. Wir alle wissen, wie bestechlich unsere Gerichte sind.“, sagte der Tempo-Journalist und Generalsekretär der unabhängigen Journalistenvereinigung, AJI, Nezar Patria, nach dem Urteil. Auch international löste der Richterspruch Protest aus: „Eine so drakonische Strafe gefährdet die wirtschaftliche Existenz der Zeitung. Damit wird eine Klagepraxis befördert, die alle Journalisten in Indonesien bedroht“, so das in New York beheimatete Committee to Protect Journalists (CPJ).

Auch wenn im besagten Fall wegen der Berufung beider Seiten eine endgültige Entscheidung noch aussteht, sind diese Befürchtungen berechtigt. Zwar gehen viele Beobachter davon aus, dass sich bislang in der Post-Suharto-Ära indonesische Journalisten einer im asiatischen Vergleich seltenen Freiheit erfreuten. Doch kam zu dieser Einschätzung nur, wer die vielen kleinen Vorfälle übersah, die es im ganzen Land immer wieder gab und gibt. Nur eine Minderheit der Journalisten weist den berühmten „amplop“ zurück, den mit Geld gefüllten Umschlag, der von Politikern und Firmen zu Pressekonferenzen    oder an Feiertagen überreicht wird. Reicht diese Form der Beeinflussung nicht, werden Medienvertreter auch physisch bedroht. Die Listen, die AJI jährlich zu gewaltsamen Übergriffen auf Journalisten führt, sind lang. International erregten sie bislang kaum Aufsehen, weil sie sich meist gegen lokale Medien richteten.

Auch die Redaktion des Tempo-Magazins bekam im vergangenen Jahr Besuch von einer Schlägertruppe. Die rund 200 Unterstützer von Tomy Winata hatten am 8. März das Büro gestürmt, mehrere Journalisten beleidigt und tätlich angegriffen. Drei Tage zuvor hatte Tempo den Artikel: „Ada Tomy di Tenabang?“ veröffentlicht. Darin war ein Zusammenhang zwischen dem Großbrand in Tanah       Abang, einem der wichtigsten Textilmärkte Südostasiens, und dessen beabsichtigter Sanierung durch Tomys Firma hergestellt worden. Tempo verweist auf eine anonyme Quelle, die dem Magazin gesagt habe, dass Tomy schon lange vor dem Brand beim Marktbetreiber einen Kostenvoranschlag für die Sanierung abgegeben hatte. Auch Tomy selbst wurde laut Aussage von Tempo zu dem Fall befragt. Heute behauptet der Firmenboss jedoch, die Stimme auf dem Tonband der Tempo-Reporterin sei nicht seine.

Der Überfall auf die Redaktionsstuben in der Proklamasi-Straße in Jakarta fand unter den Augen der herbeigerufenen Polizei statt. Nur zwei der Angreifer wurden später vor Gericht gestellt. Einer wurde frei gesprochen, der Zweite bekam fünf Monate auf Bewährung. Zum Vergleich: Im Prozess Tomy vs. Tempo wegen des „Brand“-Artikels, der zur Zeit noch andauert, könnten die Tempo-Redakteure zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt werden. „Die Härte der den Journalisten angedrohten Strafen steht in auffallendem Kontrast zu der Behandlung, die Tomys Unterstützer vor Gericht erfahren haben“, urteilte amnesty international /Bericht: Press freedom under threat, Oktober 2003/.

Dass die Polizei zugunsten der Tomy-Fans ein Auge zugedrückt hatte, konnte man ihr zwar nicht nachweisen. Und würde Tempo behaupten, dass die Ordnungshüter durch persönliche Kontakte ihrer Chefs und großzügige Spenden des Geschäftsmannes (z.B. eines Autos zur besseren Terrorbekämpfung) beeinflusst wären, hätte das Magazin wohl die nächste Klage am Hals. Eine Verletzung der Dienstpflichten erkannten aber schließlich sogar die Gerichte an, bei denen AJI eine Klage eingereicht hatte.

Auf mehr als einem Auge blind waren auch die Richter, die mithalfen, dem juristischen Feldzug Tomys gegen Tempo zu grotesken Zügen zu verhelfen. Tomys Anwälte hatten im August eine Beschlagnahmung des Hauses von Tempo-Gründer Goenawan Mohamad und der Büros von Koran Tempo gefordert. Das Unglaubliche geschah: Die Richter gaben statt. Goenawan darf zwar noch dort wohnen, aber das Haus weder verpfänden noch verkaufen. Irgendwie schien es am Gericht niemanden interessiert zu haben, dass die Räumlichkeiten, in denen Tempo-Redakteure angeblich verleumderische Artikel fabrizieren, nur angemietet sind. Und dass Goenawan mit tagesaktuellen Redaktionsentscheidungen überhaupt nichts mehr zu tun hat. Wenn schon, dann hätte man es also auf das Haus von Bambang Harymurti absehen müssen. Ohnehin geschah es in der Justizgeschichte des Landes zum ersten Mal, dass Vermögen in einem Verleumdungsfall eingefroren wurde. Das geschieht sonst nur bei Wirtschaftsprozessen oder Anklagen wegen Unterschlagens großer Geldmengen und bei Fluchtgefahr. Doch um Flucht ging es nicht. Was zählte, war das Signal. Wenn ein zwielichtiger Geschäftsmann dem bekanntesten Journalisten des Landes quasi das Haus wegnehmen kann, braucht man von keinem Lokalreporter mehr Mut im Kampf gegen Korruption im Rathaus zu erwarten.

Die Rupiahs, das aus einem Verkauf des Wohnhauses eines Goenawan Mohamad erzielt würde, wären ohnehin peanuts. Inzwischen laufen sechs weitere Klageverfahren von Tomy Winata gegen Tempo – und er ist nicht der einzige Kläger. Allein von ihm allerdings kämen auf Tempo Schadenersatzforderungen in Höhe von insgesamt 40 Millionen US-Dollar zu, sollten auch andere Richter ähnlich wie ihre Kollegen im Bezirksgericht Süd-Jakarta am 20. Januar entscheiden.

Dort hatten die Gesetzeshüter im vergangenen Herbst auch schon einer anderen Klägerin gegen die Pressefreiheit zu ihrem fragwürdigen Recht verholfen. Es handelte sich um niemand Geringeres als Präsidentin Megawati Sukarnoputri. Die Landesmutter hatte sich von mehreren Schlagzeilen der Tageszeitung „Rakyat Merdeka“ (Freies Volk) gestört gefühlt. Im Zuge der Proteste gegen geplante Benzinpreiserhöhungen hatte das Blatt die Slogans von Demonstranten zur Titelzeile erhoben. Die zwei umstrittensten „Verfehlungen“: „Mega lebih kejam dari Sumanto“ (Mega ist grausamer als Sumanto – ein wegen Kannibalismus verurteilter Javaner); „Mulut Mega berbau solar“ (Mega stinkt aus dem Mund nach Diesel).
„Warum gerade Diesel?“ hatte der Richter gefragt, nachdem er sich über die Unhöflichkeit des Redakteurs Supratman echauffiert hatte. „Warum haben Sie nicht gleich geschrieben, dass die Präsidentin nach Kartoffeln oder verfaulten Früchten aus dem Mund riecht?“. Er vergaß dabei leider, dass der Gatte der Präsidentin eben keinen Obstladen besitzt, sondern mehrere Tankstellen.

Supratman wurde zu sechs Monaten Haft verurteilt, ausgesetzt auf zwölf Monate Bewährung. Der Journalist dürfte also bis zu den Wahlen „ruhig gestellt“ sein.
Die Gesetzesbasis ist bei all diesen Fällen die Gleiche. Obwohl Journalisten und Presserat immer wieder fordern, das Presserecht zur Grundlage zu machen, wird nach dem Strafgesetzbuch verhandelt. Die angewandten Paragrafen, die zum Beispiel die Verleumdung der Regierung unter Strafe stellen, stammen aus einer Zeit, in der die holländische Kolonialmacht aufkeimende Unabhängigkeitsbestrebungen und ihre Protagonisten im Zaum halten wollte. Einer von ihnen war Sukarno, späterer erster Präsident der Republik Indonesien, und Vater der heutigen Präsidentin. „Lasst euch das mal auf der Zunge zergehen! Megawati hat wohl vergessen, dass ihr eigener Vater mit Hilfe der gleichen Gesetze vor Gericht gebracht wurde“, hatte Redakteur Supratman im Gerichtssaal seiner Fassungslosigkeit Ausdruck verliehen.

Es ist nicht die Freiheit, Menschen nach Belieben beleidigen zu können, die die Journalisten fordern. Sie mahnen nur an, für Fälle dieser Art ein Prozedere anzuwenden, wie man es von einem Land erwarten könnte, das sich Demokratie nennt. Gegendarstellungen, Leserbriefe, Beschwerden vor dem Presserat zum Beispiel. Dieses Gremium existiert zwar in Indonesien. Die versprochene Hälfte seines Budgets, die der Presserat aus dem Staatssäckel bekommen soll, ist aber seit Gründung des Rates vor vier Jahren noch nicht eingetroffen.

Für die Vertreter des Presserates ein klares Indiz, dass die Regierenden überhaupt kein Interesse daran haben, die rechtmäßige Freiheit der Medien zu unterstützen. Sonst würden sie auf Aufrufe reagieren, wie sie von Human Rights Watch und anderen internationalen Organisationen nach Jakarta gerichtet werden. Diese haben wiederholt gefordert, die veralteten Paragrafen abzuschaffen, mit deren Hilfe bereits mehrere Demonstranten hinter Gitter wanderten und die nun inflationär gegen Journalisten angewendet werden.

Auch der Chefredakteur von Rakyat Merdeka war im Herbst zu fünf Monaten Haft, ausgesetzt auf zehn Monate Bewährung, verurteilt worden. Karim Paputungan hatte eine angeblich verleumderische Karikatur veröffentlicht. Die Zeichnung zeigte den damals wegen Veruntreuung von 4,8 Millionen US Dollar zu drei Jahren Haft verurteilten Parlamentspräsidenten Akbar Tanjung, ohne Kleider und vor Schweiß triefend. Die Richter begründeten das Urteil mit dem „Angriff auf den guten Ruf [von Akbar] mittels eines unpassenden Bildes“. Akbar Tanjungs Beziehungen zu Justitia waren offensichtlich bessere. Er wurde kürzlich im Revisionsverfahren des Obersten Gerichtshofs von allen Vorwürfen frei gesprochen (s.S. 19).

Bereits kurz nach Karims Verurteilung hatte Rechtsanwalt Todung Mulya Lubis (der nun auch Tempo vertritt) in einem Interview mit der Jakarta Post einen Zusammenhang zwischen den anstehenden Wahlen und den Einschränkungen der Pressefreiheit gesehen. Satire gehöre zum Journalismus und Indonesiens politische Elite solle reif genug sein, damit zu leben. Es sei eine „goldene Gelegenheit“, so Todung, gerade jetzt in der Transformationszeit die alten kolonialen Paragrafen abzuschaffen.

Die Entwicklungen der letzten Monate zeigen, dass Todungs Worte im Geschacher um politische und juristische Ämter verhallt sind. Derzeit wird vor dem Zentralgericht Jakarta die Verleumdungsklage von Pemuda Panca Marga (PPM) verhandelt. Die Organisation hätte von Tempo gerne knapp 30 Millionen (US Dollar, nicht Rupiah!) Schadenersatz und vom Gericht gerne ein zweijähriges Verbot des unliebsamen, auflagenstarken Magazins. Tempo hatte den Überfall auf das Büro der Menschenrechtsorganisation Kontras (siehe Indonesien-Information Nr. 2/02) als das Werk von PPM, einer „würdelosen Gang von Soldatenkindern“ beschrieben. Der Vorschlag des Verteidigerteams, zunächst unter Vermittlung des Presserates eine Einigung der beiden Parteien zu erzielen, wie es das Presserecht vorsieht, wurde von den Richtern abgelehnt.

Wohin die Reise der Pressefreiheit geht, hat nun auch Informationsminister Syamsul Mu’arif klar gemacht. Er traf sich kürzlich mit dem Presserat, der ihn bat, sich für den Einsatz des Presserechts vor Gericht und die Vermittlungstätigkeit des Presserates einzusetzen. Syamsul versprach zwar, die Bitte an Präsidentin Megawati weiter zu leiten. Gleichzeitig ließ er jedoch wissen, auf wessen Seite er im Klagefall zu finden sei. Das Presserecht beachte nicht, wie groß der Image-Schaden einer Person bei einem verleumderischen Artikel sein könne, so Mu’arif. Deswegen müssten nicht die Richter umdenken, die in Prozessen das Strafrecht einsetzten, sondern das Presserecht müsse modifiziert werden. Über die Anwendung des Presserechts könne man nachdenken. Aber erst, wenn es härtere Strafen vorsähe. <>
 
 

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