Indonesien-Information Nr. 1/2003 (Militär)

 

Tabubruch

Das erste Buch über die indonesischen Spezialkräfte ist erschienen


Ken Conboy, Kopassus, Inside Indonesia’s Special Forces,
Equinox Publishing, Jakarta und London, 2002 (www.EquinoxPublishing.com)
 
 

Eine Rezension von Ingo Wandelt


Zeitenwenden erfolgen oft unbemerkt. Das Erscheinen eines Buches mit einer Zeitenwende gleichzusetzen mag übertrieben erscheinen. Im Falle des unscheinbar im grünen Paperback daher kommenden Buches über die Kopassus ist der Begriff durchaus kein Euphemismus. Ein solches Werk hat es nie zuvor gegeben. Genauer gesagt, es hat sich nie jemand getraut es zu schreiben. Denn Kopassus flößt Furcht ein. Nicht nur in Indonesien.

Das „Kommando Spezialkräfte des indonesischen Heeres“, so die Übersetzung von Komando Pasukan Khusus Tentara Nasional Indonesia - Angkatan Darat, der seit 1986 bestehenden offiziellen Bezeichnung dieser Truppe, ist das undurchsichtigste und geheimnisvollste Element der nicht gerade für Transparenz bekannten indonesischen Streitkräfte (TNI). Seit dem Dezember 2002 kann, wer will, sich mit diesem Werk einen Einblick verschaffen. Dank seines Autors Ken Conboy.

Ich muss gestehen, dass mir der Autor bislang völlig unbekannt war. Er kommt weder aus der Wissenschaft noch aus dem Militär oder der Diplomatie. Conboy arbeitet für eine Security and Risk Consultancy in einem privatwirtschaftlichen Sektor, der zunehmend die Führung in der Auswertung und Analyse von Militärs weltweit übernimmt und seine Erkenntnisse für klingende Münze an den Kunden bringt. Das Buch belegt eindrücklich den Einfluss und die Macht solcher Privatfirmen, nicht nur Tabuthemen aufzugreifen, sondern sich auch gegen diejenigen zu verteidigen, die an der Aufrechterhaltung bestimmter Tabus interessiert sind und dabei auch vor Gewaltmitteln nicht zurückschrecken. Kopassus ist ein, vielleicht das Zentrum der institutionalisierten staatlichen Gewalt in Indonesien, und das, wie der Autor anschaulich zeigt, seit fünfzig Jahren.

Kopassus ist ein Spezialverband für geheime Kriegführung und schätzt die Offenlegung seiner Aktivitäten überhaupt nicht. Die Präsentation des Buches im November übernahm mit Juwono Sudarsono ein ehemaliger Verteidigungsminister. Er soll, wie mir ein Freund erzählte, ein sehr vorsichtiges Geleitwort gegeben haben. Er, Juwono, sei ja schon immer ein Freund der Kopassus gewesen, und das Buch sei ja auch nicht negativ gegen Kopassus eingestellt. Thema tiefer hängen, denn Vorsicht ist halt die Mutter der Porzellankiste.

Der eigentliche Mut Conboys liegt jedoch nicht in dem, was er an Fakten offen legt. „He didn’t ask Kopassus!“, ob er das Buch denn schreiben dürfte, vertraute mir ein anderer Freund an. Kopassus wasn’t amused.

Conboys Buch kann leicht missverstanden werden. Wer es oberflächlich liest, mag es für eine anekdotische Aufzählung der Taten und Einsätze der Kopassus halten. Beschränkt auf die Jahre 1951 bis 1993. Die heikle Gegenwart, besonders die Ära des Kommandeurs Prabowo Subianto, bleibt außen vor. Doch genau darin begründet der vorsichtige Ansatz des Autors.

Conboy schafft es eindrücklich, keinen großen Tabubruch, aber eine in Hunderte von kleinen,  homöopathischen Dosen verabreichte Aufklärung zu vermitteln. So bringt er im Vorwort mit einem einzigen Begriff die fünfzigjährige Militärhistorie auf einen aufgabenbezogenen Punkt: unconventional warfare. Die „unkonventionelle Kriegführung“ ist es, was Kopassus immer schon betrieb, und – ich bitte um Verzeihung – das habe ich noch nie zuvor irgendwo gelesen! Ein Blick ins Militärwörterbuch offenbarte mir den „UW“ als die wahre Essenz dieser Truppe. Doch der Reihe nach!

Conboy nennt drei Gründe für den besonderen Rang, den Kopassus und ihre Vorgängerorganisationen in der militärischen und zivilen Geschichte Indonesien einnehmen. Erstens, „die indonesischen Heeresspezialkräfte können als Mikrokosmos der Streitkräfte jenes Landes als Ganzes gesehen werden“. Nicht nur das. Das Buch ist in Kapitel gegliedert, die in chronologischer Abfolge die Einsatzorte der Truppe seit ihrer embryonalen Phase ab 1950, über ihre Gründung 1952 bis knapp vor die Phase der Ausweitung ihres Auftrages unter Kommandeur Prabowo anschaulich schildern. Das Buch liest sich stellenweise wie ein Abenteuerroman, wie es dem Genre von Büchern über „Special Forces“ zu eigen ist. Doch es wird über diesen Ansatz klar, dass die geheime, verdeckte und schmutzige Kriegführung der Kopassus das eigentliche Wesen der indonesischen Kriegführung, die wahre Essenz des indonesischen Militärs insgesamt sind, und dass die territorialen und Kampftruppen der Heeresreserve Kostrad – von Marine und Luftwaffe ganz zu schweigen – nur ein Randwerk, bestenfalls eine Staffage für die Aktionen der Kopassus darstellen und immer dargestellt haben.

Es wird über das Buch hinaus deutlich, wie rasch der indonesische Staat mit seinem militärischen Angriff auf die RMS (Republik Maluku Selatan; Republik Südmolukken) 1950, nur wenige Monate nach der internationalen Anerkennung der Souveränität des Staates Indonesien, seine Unschuld verloren hatte. Es war der Initiator der indonesischen Heeresspezialkräfte, Oberst Kawilarang, der in Gefechten mit den Truppen der RMS, zu denen auch Einheiten von unter den Holländern ausgebildeten special forces („Regiment Speciale Troepen“) gehörten, ausrief: „so was wie die brauchen wir auch!“ So geschah es am 16. April 1952 mit der Gründung der Kesko TT. Daraus wurde, nach mehreren Metamorphosen, die RPKAD (1959), die Kopassandha (1971) und am 26.12.1986 die Kopassus. Jene vorbildhaften holländischen Spezialkämpfer verbinden sich unangenehm mit den schlimmsten Taten niederländischer Kolonialherrschaft wie den Massenmorden von Turk Westerling an der Zivilbevölkerung von Sulawesi und Westjava. In der Tat handelt es sich um dieselben Mordspezialisten, wie Conboy nachweist. Die indonesische Armee mutierte also bereits wenige Monate nach dem edlen Kampf um die Unabhängigkeit zu einer Mord- und Repressionsmaschine. Sie ist es bis heute geblieben. Der Sieg über den äußeren Feind führte direkt zu einem neuen Bild vom Feind, der in der eigenen Bevölkerung verortetet wurde. Das Kampffeld verschob sich in die eigene Gesellschaft hinein. Bereits vor fünfzig Jahren.

Die Bedeutung der Kopassus für die innere Struktur der indonesischen Armee ist erheblich. Viele Offiziere und Generäle kamen über diese Truppe in Führungspositionen. Das Buch zeigt mit vielen Beispielen, welche Taten es waren, die Offiziere wie Benny Murdani oder auch Prabowo Subianto zu Militärführern werden ließen. Negativ formuliert, es gab niemals eine Zeit in der Militärgeschichte des Staates Indonesien, in der Offiziere und Generäle der Kopassus keinen Einfluss auf die Armee besaßen.

Dabei kommt die Kriegsgeschichte der Kopassus keinem Heroismus entgegen. Es ist geradezu peinlich Conboys Beschreibungen über ihrer Einsätze zu lesen, die immer wieder – ja geradezu als Regel – an der eigenen militärischen Unfähigkeit und Unprofessionalität scheiterten. Kopassus’ Vorgängerorganisationen waren Dilettanten, gerade dann, wenn sie auf fremde (ausländische) Truppen stießen. Wie bei den Infiltrationsbemühungen nach Malaysia in Zeiten der „Konfrontasi“, wie in den Aktionen gegen die Niederländer in Westpapua in den frühen Sechzigern. Immer wieder schlugen die Aktionen der Heeresspezialisten fehl. Die größten Opfer hatte die Truppe selbst zu tragen. Und immer wieder war es die internationale Diplomatie, die mit ihren Irrungen und Wirrungen auch den größten Fehlschlag der Truppe in einen Sieg verwandelten. Zumeist, indem sie die Kriegsakteure, sprich Kopassus, abziehen ließ oder deren Kriegsziele indirekt und langfristig dennoch verwirklichte. Kriegerische Ersttaten führten somit zu diplomatischem Erfolg. Etwa indem die Konfrontasi friedlich-diplomatisch beendet wurde, indem Westpapua der Republik Indonesien zugesprochen wurde oder indem die Welt von Osttimor wegschaute (zumindest für den Berichtszeitraum des Buches). Der stille Freund der Kopassus, so darf man durchaus folgern, war immer die internationale Diplomatie. Natürlich niemals willentlich und direkt. Kopassus als das Instrument der verdeckten Kriegführung der indonesischen Armee blieb immer straffrei.

Infiltration in Feindgebiete, verdeckte Unterstützung von Partisanen und gezielte Tötungen sind einige der Aufträge, die Kopassus seit fünf Jahrzehnten betreibt. Auch ausländische Truppen waren das Ziel solcher Missionen: der Commonwealth, die Niederlande, Portugal und die Vereinigten Staaten. Conboy schreibt im Vorwort: „für jede dieser ausländischen Mächte will diese Beschreibung zu einem umfassenden Verstehen ihrer gegenwartsbezogenen Militärhistorien beitragen“.  Know thy enemy!, könnte man sagen. Aber Conboy tut gut daran, auf diesen Aspekt nicht hinzuweisen. Ist er doch zu aktuell. Zwei erschossene US-Lehrer bei Timika im August 2002, mutmaßlich durch Kopassus, bilden den aktuellen Hintergrund seines Buches.

Conboy beschreibt in deskriptiver Weise und oft mit den Angaben von ihm befragter Kopassus-Leute die Handschrift der Truppe. Ihre Arbeitsweise bedarf ursächlich der deniability (Abstreitbarkeit). Das, was Kopassus tut, darf auftragsgemäß niemals offenbar werden. Geschähe es doch, wäre der Auftrag gescheitert. Aber Conboy setzt hier Maßstäbe, indem er die Aktionen (nach-)erzählt und damit Fakten niederschreibt. In Fülle und Dichte. Was er an Details zu Kalimantan, Aceh, Westpapua und Papua-Neuguinea sowie speziell zur Frühgeschichte der Invasion Osttimors niedergeschrieben hat, wird gerade dadurch unbestreitbar – und überaus lesenswert! Dreht er doch die Beweislast um: möge Kopassus belegen, dass es nicht so war! Was schwer fallen dürfte, weil Conboy viele Veteranen der Truppe zitieren kann. Psychologische Kriegführung einmal anders herum.

Der dritte Aspekt ist der mit der größten Tragweite. Conboy: „Die Spezialkräfte der indonesischen Armee haben die Entwicklung der Doktrin der unkonventionellen Kriegführung beeinflusst. Zu verschiedenen Zeiten war Kopassus (den Einflüssen) östlicher, westlicher und nicht-alliierter Mentoren ausgesetzt. Dies hat der indonesischen Militärelite eine einzigartige Perspektive verschafft. Und, gegeben die große Anzahl von bushfire conflicts (begrenzte Konflikte) über den Archipel, war sie in der Lage diese vermischte Doktrin im Gefecht zu testen. Darüber hinaus hat Kopassus ihr Verständnis von unkonventioneller Kriegführung anderen Nationen vermittelt – indem sie Kommandokader aus Kambodscha trainiert hat, zum Beispiel – was die Geschichte der Kopassus auch für diese Streitkräfte von Interesse macht.“

Kopassus ist in einzigartiger Weise ein Kunstprodukt der fremden, ausländischen, besonders der westlichen Kriegstechniken der spezial forces, wie auch Produkt einer ureigenen Biographie schmutziger Kriegführung. Einer Biographie, die über die Jahrzehnte hinweg militärisch definierte Ziele erreichte, aber langfristig doch immer verlor. Auf ihre Weise hat Kopassus den Archipel politisch zusammen gehalten, unter großen Kosten an Leid und Menschenleben. Es ist aber die Tragik der Truppe, niemals Frieden geschaffen zu haben. Ganz im Gegenteil war Kopassus immer mit Unfrieden und damit zwangsläufig mit neuen Konflikten verbunden. Kopassus hat sich ihre Berechtigung immer selbst geschaffen. Die Konflikte, die sie beheben sollte, immer verschärft und damit in zynischer Weise ihre Geschichte mit der des Staates, dem zu dienen sie angetreten war, in der Gewalt vereint.

Kopassus hat auf ihrem ureigensten Trainingsfeld, Osttimor, schlussendlich versagt. Ohne die 25-jährige Praxis ihrer Kriegführung, die eben nicht länger deniable blieb, wäre die internationale Diplomatie nicht zum Hinschauen gezwungen gewesen und Osttimor nicht unabhängig geworden. Osttimor ist die finale Niederlage der Kopassus. Außerhalb der Perspektive des Buches eine diskussionswürdige Erkenntnis.

Was ist nun „unkonventionelle Kriegführung“? Das Buch geht nicht direkt darauf ein. Das Buch ist aber eine einzige Beschreibung von unconventional warfare! Eine geltende Militärdefinition versteht sie, kurz gesagt, als Kriegführung, die man nicht selbst betreibt, sondern die andere dazu anleitet und rekrutiert, für einen selbst zu kämpfen. Special Forces sind dafür ausgebildet, Hilfskräfte (proxy forces) und Milizen anzuwerben, auszubilden und im Gefecht zu führen. Verdeckt, versteht sich. Und diese Definition gilt weltweit. Kopassus ist nur Teil eines größeren Bildes des modernen Krieges. Kopassus hat in fünfzig Jahren niemals etwas anderes betrieben. Osttimors Militärhistorie ab 1974 ist die neuere Geschichte der indonesischen Variante unkonventioneller Kriegführung. Sie hat Vorgänger, und sie hat Nachfolger. Die Tradition des unconventional warfare ist im indonesischen Archipel noch lange nicht beendet. Kopassus lebt.

Conboy beendet sein Buch nicht ohne Bezug zur Gegenwart. Unter Kommandeur Prabowo dehnte Kopassus sein Einsatzfeld auf die gesamte Gesellschaft aus, die darüber zum Kriegsschauplatz wurde. Das ging nur unter konsequenter Ausschaltung von Recht und Gesetz unter dem Primat des Wegschauens. Das sind meine Worte, nicht die des Autors. Conboy gibt sich kryptisch, aber nicht weniger deutlich. So endet der Buchtext auf Seite 316 in Anmerkung Nr. 16 zu Kapitel 20, mit einem Zitat von Prabowo aus einem Gespräch mit dem Autor vom August 1997. Prabowo sagte damals: „Indonesien ist das beste Land für die Durchführung von verdeckten Operationen, weil es keine schriftlichen Befehle gibt.“

Conboys Buch benötigt kein Nachwort. Es geht nahtlos in die Gegenwart und Zukunft über. (... und in den folgenden Artikel, d. säzzer) <>
 
 

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