Indonesien-Information Nr. 1/2 2000 (Militär)

Zivilisierung in Sicht?

Zum momentanen Stand der zivil-militärischen Beziehungen in Indonesien

von Ingo Wandelt

Zivile Vorherrschaft (supremasi sipil) über das Militär ist eine Kernforderung der demokratischen Kräfte Indonesiens im Zeichen der reformasi. Wie weit ist das indonesische Militär in der neuen Regierung den zivilen Kräften unterstellt?

Eine Reihe unverzichtbarer institutioneller Reformen sind notwendig, damit die von Studenten, Parteien, NROs und auch von der indonesischen Forschungsbehörde LIPI geforderte Demokratisierung der Streitkräfte kein Lippenbekenntniss bleibt. Beobachter sind jedoch einhellig der Meinung, dass ein solches Ziel nur in kleinen, aber konkreten Schritten erreicht werden kann.

Geteilte Führung

Der Oberbefehlshaber der indonesischen Streitkräfte (TNI) ist mit dem neuen Staatspräsidenten Abdurrahman Wahid ein Zivilist, der niemals Kriegsdienst geleistet hat. Der Minister der Verteidigung ist ebenfalls ein Zivilist. Beide besitzen jedoch keinen direkten Einfluss auf die Führung der Streitkräfte im Friedens- wie im Ernstfall. Dazu benötigen sie die Kooperation des Befehlshabers der Streitkräfte, des Panglima TNI, dem eigentlichen Führer der Teilstreitkräfte Heer, Marine und Luftwaffe. Der Panglima ist formell dem Präsidenten, nicht jedoch dem Verteidigungsminister weisungsgebunden und besitzt direkte Befehlsgewalt über Heereskampftruppen. Er ist mehr als ein Chef des Generalstabs, den es ebenfalls gibt, nämlich auch ein Repräsentant der TNI und ihrer Interessen gegenüber Regierung und Volk. Die Abschaffung dieser Position ist eine unverzichtbare Bedingung für die Unterordnung der TNI unter eine zivile Staatsführung. Sie ist nicht geschehen.

Der Verzicht der TNI auf ihren doppelten Auftrag zur äußeren Landesverteidigung und zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit wird seit den achtziger Jahren von Kreisen der indonesischen Zivilgesellschaft gefordert. Im Zuge der Professionalisierung der Streitkräfte, so die Forderungen, soll die TNI allein für die Verteidigung gegenüber äußeren Bedrohungen (pertahanan) sorgen, während die innere Sicherheit (keamanan) in die alleinigen Hände der Polizei übergehen soll. Der Ansatz Wahids zur maritimen Schwerpunktsetzung geht in diese Richtung, gibt mit dem Verlust der Seereichtümer Indonesiens durch illegale fremde Ausbeutung eine konkrete Bedrohungsanalyse, vermeidet jedoch die Formulierung eines konkreten neuen Auftrages für die gesamte TNI. Auch der Verzicht auf den Namensbestandteil "keamanan" bei der Position des jetzigen Verteidigungsministers, der in der Regierung Habibie wie zuvor unter Suharto der Minister für Verteidigung und Sicherheit war, ist ein weiteres Anzeichen in diese Richtung, jedoch noch keine Festlegung auf einen reduzierten Auftrag.

Alte neue Strukturen

Die Abtrennung der Polizei von der Führungsstruktur der Streitkräfte wurde beibehalten, jedoch untersteht die Polizei weiterhin dem Verteidigungsminister und damit einer militärischen Einrichtung. Veränderungen des Status der Polizei binnen zweier Jahre wurden angekündigt, jedoch bislang ohne klare Ausführungen.

Zu den politischen Freiheiten für die Angehörigen von TNI und Polizei wie freie Meinungsäußerung und das aktive Wahlrecht ist nichts Neues bekannt. Unter Suharto nahmen Streitkräfteangehörige an Wahlen weder aktiv noch passiv teil, erhielten dafür aber einen festen Anteil an Repräsentanten in Parlament und Volkskongress. Diese Regelung gilt weiter.

Sonderrecht

Die Abschaffung der Territorialstruktur des Heeres ist der kritische Punkt einer Armee- und speziell einer demokratischen Heeresreform. Die Landstreitkräfte sind auf fünf Ebenen landesweit stationiert. Der Wehrbereich (Kodam) entspricht ungefähr der Fläche einer Provinz (propinsi), der obersten zivilen territorialen Verwaltungsebene, und jedes Kodam ist in vier weitere Ebenen bis hinunter zur Dorfebene aufgeteilt. Militärische Einheiten sind bis in die Dörfer hinein fest im Lande stationiert und haben schon durch ihre Präsenz eine einschüchternde Wirkung auf das zivile Leben. Fest verwoben mit der Territorialpräsenz des Heeres sind die Stränge der diversen Nachrichtendienste, die allesamt militärisch strukturiert und geführt sind. In diesem Bereich hat die neue Regierung keine strukturellen Reformen vollzogen, jedoch ein umfassendes Revirement der territorialen Kommandeure und Nachrichtendienstchefs eingeleitet, deren Wirkung noch nicht abzusehen ist. Das größte Eigenleben aller Verbände innerhalb der TNI führen die mächtigsten, weil kampfstärksten, Heeresverbände von Kostrad und Kopassus. Ihnen werden die meisten Menschenrechtsverletzungen von Aceh bis Ost-Timor zugeschrieben. Ihre Namen erscheinen an führender Stelle im Umfeld von geschürten Unruhen, Todeskommandos und der Unterstützung und Ausbildung von Schlägern und paramilitärischen Milizen überall im Archipel. Sie haben seit zwanzig Jahren einen rechtlichen Sonderstatus erhalten. Ihre verdeckte, schmutzige Kampfführung ist durch ihre Quasi-Immunität gegenüber ziviler Strafverfolgung und Rechtsprechung gedeckt. Die zivile Oberhoheit in Indonesien ist untrennbar mit ihrer Auflösung oder tiefgreifenden Reform zu ermöglichen, aber auch mit der Unterstellung der TNI unter das staatliche Recht. Bislang sind Angehörige der TNI nur dem militärischen, nicht dem zivilen Recht unterworfen. Auch in privater Kapazität von TNI-Angehörigen begangene Straftaten können nicht vor Zivilgerichten, sondern nur von Militärgerichten behandelt werden. Damit unterscheidet sich die indonesische Strafverfolgungspraxis gegen Militärangehörige erheblich von der in den Vereinigten Staaten von Amerika, die ebenfalls eine solche Sonderbehandlung ihrer Soldaten kennt. Während dort allerdings militärisches und ziviles Recht angeglichen sind und straffällig gewordene Militärangehörige häufiger, wenn auch nicht immer, vergleichsweise härtere Strafen als unter zivilem Recht zu fürchten haben, so können indonesische Soldaten, wenn gegen sie überhaupt ein Verfahren eröffnet wird, mit der Milde des Gerichts rechnen. Rechtlicher Sonderstatus geht immer noch Hand in Hand mit einer faktischen rechtlichen Immunität der TNI.

Die staatliche Souveränität und die Herrschaft des Rechts gegenüber den Streitkräften des Staates ist im rechtlichen Gebiet überhaupt noch nicht vollzogen. Immer noch agieren TNI und Polizei bei ihren Einsätzen und Operationen in rechtsfreien Räumen, in denen das Argument der Wahrung von Sicherheit und Ordnung als beliebiger Vorwand zur Rechtfertigung jeglicher krimineller Handlung gilt.

Somit ist auch ein rechtliches Vorgehen gegen die Milizen in West-Timor und der paramilitärischen Banden überall im Archipel vom indonesischen Staat kaum anzugehen. Obgleich die engen Verflechtungen von Militär und dieser Form organisierter Bandenkriminalität vielfach belegt sind, leugnen die Streitkräfte weiterhin ihre Verantwortung für diese Potentiale der Störung der inneren Sicherheit und unternehmen keine Anstrengungen zu ihrer Beseitigung. Die Weigerung der Exekutive zur Strafverfolgung, und fehlende rechtliche Mittel des Staates, seine Strafverfolgungsbehörden gegen diese Form der Kriminalität vorgehen zu lassen, machen internationale Strafrechtsverfahren wie ein Kriegsverbrechertribunal gegen verantwortliche Kommandeure der TNI notwendig, um dem Anspruch der Gesellschaft Indonesiens auf Sicherheit und Recht Nachdruck zu verleihen und den Staat in die Lage zu versetzten, gegen seine Rechtsbrecher, die in Gestalt der Erhalter des Staates vor inneren und äußeren Bedrohungen auftreten, vorgehen zu können. Doch auch dieser Weg ist nicht einfach zu beschreiten. Das Entfachen einer anti-westlichen Stimmungsmache im Zuge des Einsatzes von Interfet-Truppen in Ost-Timor, die den Schutz der Ost-Timoresen als neokolonialistische Aggression gegenüber Indonesien darzustellen versuchte und nicht wenig Anklang fand, war ein Versuch, die TNI vor Ansprüchen internationaler Rechtsverantwortung zu schützen. Die Regierung Wahid hat es bislang vermieden, sich dezidiert zur landesweiten Strafverfolgung von TNI-Kommandeuren zu äußern. Die nationale Menschenrechtskommission preschte Mitte November vor mit ihrer Ankündigung, führende Offiziere zu ihrer Verantwortung zu Gräueln und Menschenrechtsverletzungen in Ost-Timor vorzuladen und zu befragen. Noch immer ist nicht abzusehen, was letztlich daraus wird. Die nationale Diskussion über die TNI geht zumindest voran, und das ist ein gutes Zeichen. <>
 

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