Indonesien-Information Nr. 1/2 2000 (Militär)

Veränderte Kontinuität

Die indonesischen Streitkräfte und das neue indonesische Ministerkabinett

von Ingo Wandelt

Nur sechs Tage nach der Wahl von Abdurrahman Wahid zum vierten Präsidenten der Republik Indonesien wurde am 26. Oktober das Kabinett der neuen Regierung Indonesiens bekannt gegeben und drei Tage später vereidigt. Politische Beobachter legten besonderes Augenmerk auf die Beziehungen zu den Streitkräften Indonesiens (TNI, Tentara Nasional Indonesia), und besonders auf das Schicksal der strong men innerhalb der Militärführung.

Neue Visionen

"Indonesiens neuer Präsident Abdurrahman Wahid will die Seestreitkräfte der 5.000 Kilometer weiten Inselrepublik stärken," meldete DPA am 24. Oktober. "Die Schaffung einer 'mächtigen Flotte' solle Übergriffe anderer Länder auf indonesische Hoheitsgewässer verhindern." Diese Ankündigung war zuvorderst die Begleitmusik zur Ernennung eines Marineoffiziers, Admiral Widodo AS, zum Befehlshaber der Streitkräfte (Panglima TNI) und damit zum Nachfolger von General Wiranto. Erstmalig rückt damit die Marine an die Spitze der Führung der Streitkräfte, und Heeresvertreter beeilten sich zu bestätigen, dass dies ein ganz normaler Vorgang sei. Er ist es nicht.

Wahids Vorstoß war kein Aufruf zur Aufrüstung, sondern zu verstärktem Küsten und Gewässerschutz, der unter Suharto sträflich vernachlässigt worden war. Die mit veraltetem Schiffsmaterial ausgestattete und moderne Aufklärungselektronik vermissende Marine war dazu niemals ausreichend in der Lage. Klug vermied Wahid die Nennung eines äußeren Feindes, sondern betonte die Nutzbarmachung der maritimen Ressourcen des Landes, wozu er ein eigenes Ministerium ins Leben rief. In ihrem Kern war der Aufruf Wahids die Eröffnung einer neuen Perspektive und Vision für Indonesien, sich von der unter Suharto gepflegten Landorientierung sich auch mental der Weite des Meeres zu öffnen, und nicht die (Land) Grenzen, sondern die verbindenden Wege des Meeres zwischen den Inseln zu erkennen. Das gesetzte Zeichen für das dominante Heer zur Zurückstellung ihres Führungsanspruches ist deutlich. Dennoch wird es dem verschuldeten Staat schwer fallen, diese neue Dimension sicherheitspolitisch anzugehen. Sie wird den Ankauf moderner Schiffstechnologie und Elektronik im großen Maßstab erfordern. Zudem liegen die eigentlichen Sicherheitsprobleme Indonesiens weiterhin auf dem Lande.

Personalpolitik, zum ersten

Bei der Besetzung des Kabinetts gab es einige Überraschungen. Ein Zivilist wird zum neuen Verteidigungsminister, dazu gleich mehr. General Wiranto akzeptierte seinen Rücktritt von der Position des Befehlshabers der Streitkräfte (Panglima TNI) und rückte auf den zivilen Posten des Koordinierungsministers für Politik und Sicherheit. Damit gab er seine Kommandobefugnisse zugunsten eines Ministeriums auf, das seit seiner Gründung unter Suharto unklare Kompetenzen besitzt. Nominell für die Aufsicht und Koordinierung sicherheitspolitisch relevanter Fragen oberhalb der Ministerien der Verteidigung und des Inneren zuständig, gewann oder verlor dieses Amt seinen Status stets mit der Persönlichkeit seines Inhabers.

Mit sechs Ministern im Kabinett der nationalen Einheit war der militärische Anteil vergleichsweise hoch. Offiziere müssen als Minister zumindest für ihre Amtszeit aus den Streitkräften ausscheiden, was besonders im Falle von Generalleutnant Susilo Bambang Yudhoyono, dem Minister für Bergbau und Energie, verwundert. Der Chef des Territorialstabes, hinter dem sich die Kommandostrukturen des Sospol-Bereiches der Einflussnahme der Armee auf Gesellschaft und Verwaltung verbergen, verzichtet ein reformorientierter Offizier auf eine vielversprechende Karriere in der Armee, für die ihn zahlreiche Beobachter prädestiniert sahen.

Politik und Ideologie

Die Streitkräfte unterstellen sich formell den parlamentarischdemokratischen Mechanismen. Die Wahl des Präsidenten und Vizepräsidenten erfolgte ohne Störfeuer durch die 38 Parlamentarier der TNIFraktion. Sie stimmten der Loslösung Ost-Timors bei der Verabschiedung im Volkskongress zu. Die letzten Truppen verließen Ost-Timor am 30. Oktober 1999. Die Personalentscheidungen des neuen Präsidenten, der wie seine Vorgänger auch Oberbefehlshaber (Panglima Tertinggi) der Streitkräfte ist, wurden öffentlich gutgeheißen. Der erkennbare ideologische Konsens zwischen zivilen und militärischen Kräften in der Regierung ist die territoriale Einheit des Landes nach dem Abfall Ost-Timors.

Keine Änderungen in der Form

Die Polizei bleibt weiterhin dem Verteidigungsminister provisorisch unterstellt, bis für sie ein neuer Status in Staat und Gesellschaft gefunden ist. Der neue Polizeichef ist ein Mann aus dem Heer, der ehemalige Chef des Generalstabes im Führungsquartier der Streitkräfte. Kontinuität statt Reform kennzeichnete die institutionelle Politik Wahids der ersten Wochen. Der politische Ämterballast als Erblast Suhartos wurde sowohl im Kabinett als auch in den Streitkräften weiter beibehalten. Beide Institutionen waren/sind überfrachtet mit funktionslosen Positionen. Die Suhartoisierung der Streitkräfte begann mit der Absetzung General Murdanis aus dem Amt des Panglima im Jahre 1988. Murdani war der Verantwortliche für die große Strukturreform der Streitkräfte, die damals noch ABRI hießen, die dem Heer und den Organen zur Kontrolle der Bevölkerung große Kompetenzen zuwiesen. Damit wurde er Suharto selbst gefährlich. Murdani musste 1988 auf das Amt des Verteidigungsministers wechseln, das er fünf Jahre darauf als Politpensionär verließ. Er verschwand aus dem Blickfeld der öffentlichen Politik und erschien im Frühjahr 1999 fast mysteriös in Pressemeldungen, die ihn mit der Restrukturierung des Armeenachrichtendienstes BIA (Badan Intelijen ABRI), den er selbst 1983 als BAIS (Badan Intelijen Strategis) gegründet hatte, in Verbindung brachten. BIA mutierte im April 1999 wieder zu BAIS, was der Öffentlichkeit jedoch erst nach den Präsidentschaftswahlen vom Juni bekannt gemacht wurde. Mit dem Namenswechsel sind einschneidende Strukturveränderungen verbunden, deren Auswirkungen jedoch noch nicht bekannt sind. Hinter dem Wandel von BAIS zu BIA von 1994 stand die beabsichtigte Entmachtung des Panglima, dem damit der Armeenachrichtendienst entzogen wurde. BIA berichtete dem Chef des Generalstabes (Kasum) im Führungsstab der Streitkräfte (Mabes ABRI bzw. TNI), während BAIS direkt dem Pangab unterstand. Wiranto selbst führte den alten Zustand wieder ein und gewann damit die Kontrolle über den wichtigsten Strang im komplexen Nachrichtendienstnetz Indonesiens zurück. In seinem neuen Ministeramt verliert er diese Machtquelle.

Ist der "alte" auch der "neue" BAIS? Die Namensgleichheit ist sicher kein Zufall, betont er doch den strategischen (strategic intelligence), sprich operativen Nachrichtendienstauftrag dieser Institution. Auffällig ist die Verschwiegenheit, mit der diese wichtige Reform vollzogen wurde. Teilen der indonesischen Presse ist sie bis heute nicht bewusst. Bekannt ist allein die Ausweitung der Direktorate von fünf auf acht, was mit einer Erweiterung der Kompetenzen verbunden sein kann.

Die deBennyisasi der frühen neunziger Jahre war die Umschreibung der Säuberung wichtiger Positionen im Heer von Murdani loyal verbundenen Offizieren. "Benny" Murdani hatte es wie kaum ein anderer General vor ihm verstanden, ein Netz persönlicher Beziehungen und Loyalitäten zu ihm treu verbundenen "anak buah" aufzubauen, zu ihm als ihr "bapak" (Vater) auch über institutionelle Grenzen hinweg ergebene Offiziere. Die Zerschlagung dieses BennyNetzwerkes war ein Hauptanliegen Suhartos. Einbinden und Ausschalten von Vertretern der Fraktionen im Heer geschah über neue Positionen wie die des Koordinierungsministers für Politik und Sicherheit, die viel an Status und Ehre, jedoch wenig an wahrer Macht besaßen. Der Panglima und der Generalstabschef im Mabes waren in den letzten Jahren Suhartos machtlose Figuren. Suharto entmachtete diese oberen Ebenen der Streitkräfteführung dadurch, dass er über sie hinweg direkt in die Heereseinheiten hinein regierte. Der Aufstieg seines Schwiegersohnes, Generalleutnant Prabowo Subianto, ist ein Beispiel, wie Suharto über die Köpfe der Armeeführung hinweg ihm genehme Kommandeure förderte.

Die Position des Panglima wurde immer überschätzt. Mit Habibie als einem Präsidenten ohne Einfluss auf die Streitkräfte gewann der Panglima, Wiranto, von selbst an Macht. Ob Wiranto ein starker Panglima und wahres Machtzentrum innerhalb der Streitkräfte war oder nicht, ist umstritten. Ein Panglima benötigt eine Hausmacht in Gestalt von ihm ergebenen Einheiten, und ein Netz von Loyalitäten. Murdani besaß beides. Admiral Widodo, der neue Panglima, besitzt keins von beidem. Die Marine ist institutionell seit Bestehen der Streitkräfte dem Heer in allen Belangen untergeordnet, besitzt keinen Zugriff auf die wichtigen Nachrichtendienste, und die führenden Positionen in der Streitkräfteführung sind weiter mit Heeresleuten besetzt.

So passt es ins Bild, dass, erstens, der Posten des erst am 17. Juli 1999 geschaffenen Stellvertreters des Panglimas beibehalten wurde, obgleich dieses direkt über dem Generalstabschef angesiedelte Amt keinen Sinn macht außer dem, den Panglima in Fällen seines Verhindertseins zu vertreten. Zweitens, dass mit Generalleutnant Fachrul Razi ein Heeresmann direkt unterhalb von Widodo gesetzt wurde. Auch der neue Generalstabschef kommt aus dem Heer. Eine Bemerkung am Rande, die Luftwaffe wurde überhaupt nicht bedacht und zum Stiefkind der Streitkräfte degradiert.

Es war der neue Menko Polkam (Koordinierungsminister für Politik und Sicherheit) Wiranto, der in einem Interview mit einer Zeitung aus Singapur die Eigenständigkeit der TNI und den Fortbestand der militärischen Leitlinien für die politische Orientierung der Armee, der Vier Neuen Paradigmen, betonte. Die Streitkräfte würden eine weitaus größere Rolle unter der neuen Regierung einnehmen mittels "verschiedener Bemühungen zur Unterstützung der öffentlichen Wohlfahrt, was wir nation building und national development nennen" (Zitat nach APP). Was er darunter verstehe, führte Wiranto nicht aus. Eines machte er klar, es sind die selben Ziele wie unter der Regierung Habibie. Wirantos Politik gegenüber Staat und Gesellschaft ist ziemlich klar. Weitestgehende Unabhängigkeit der Armee von jeglichem äußeren Einfluss, die Option der Einflussnahme und der aktiven Mitsprache in allen nationalen Belangen, und über den Rest kann mit der Armee verhandelt werden, jedoch nicht über ihren Kopf hinweg. Wird Wiranto als Koordinierungsminister für Politik und Sicherheit weiterhin Führerschaft über die Streitkräfte zeigen können? Sein Vorgänger Feisal Tanjung konnte es nicht, aber auch bei diesem Amt gilt, das der Amtsträger und seine Beziehungsnetze, und nicht die Institution selbst ihre Macht bestimmen.

Personalpolitik, zum zweiten

Mit Juwono Sudarsono kam ein Zivilist ein Novum in der Geschichte der Streitkräfte in das Amt des Ministers für Verteidigung, jedoch ein Mann mit einem militärischem Stallgeruch. Als ehemaliger Leiter der obersten Führungsakademie (Lemhanas) in Jakarta ist er vielen Offizieren bekannt und vertraut, und er wird nicht zuletzt als Denker und, in begrenztem Maße, als Erneuerer geschätzt. Juwono war es, der u.a. in die Offizierslehrgänge Soziologen, Politologen und Ethnologen einlud und darüber sowohl das Blickfeld der jungen Offiziere weitete, als auch die Sozialwissenschaften für die Streitkräfte zugänglich und dienstbar machte.

Der Minister für Verteidigung (menteri pertahanan) ist nicht länger Minister für Verteidigung und Sicherheit (menteri pertahanan dan keamanan). Ist das ein Zeichen für eine Reduzierung der Aufgaben der Streitkräfte weg von der inneren Sicherheit (keamanan) hin zur reinen Verteidigung? Oder heißt es, dass der Minister keinen Einfluss auf die innere Sicherheit haben wird?

Der Minister für die Verteidigung steht den Teilen der Streitkräfteverwaltung vor, die außerhalb der militärischen Führungsstruktur stehen, die im Führungsstab der Streitkräfte (Markas Besar TNI) zusammengefasst sind. Der Minister hat keinen Einfluss auf Einheiten, Truppen und ihre Einsätze. Wohl aber hat er seine Hand auf dem Rüstungshaushalt, auf wichtige verwaltungstechnische Vorgänge und die militärische Ausbildung.

Der zeitgleich erfolgten Ernennung neuer Kommandeure der territorialen Wehrbereiche (Kodam) folgten keinerlei strukturelle Veränderungen im Heer. Die sicherheitspolitisch wichtige Problematik der paramilitärischen Milizen in WestTimor und Ostindonesien und der sie führenden Einheiten im Heer blieb völlig unerwähnt. Zu erwarten sind Neubesetzungen im Heeresstab und den wichtigen Einheiten des Heeres wie Kostrad und Kopassus. Erst dann werden eventuelle Machtverschiebungen im Heer erkennbar sein. Bislang sind die wichtigen Ressorts von Heeresstabschef und der Chefs der beiden Nachrichtendienste unverändert geblieben, was für eine Kontinuität der Präsenz der HardlinerKräfte spricht. Auch hier bleiben künftige Entwicklungen abzuwarten.

Ausblick

Resümierend ist zu konstatieren, dass die ersten Wochen des Kabinetts Wahid symbolträchtige, aber keine revolutionären Änderungen in den Streitkräften bewirkten. Die Armee trug die neue Regierung und erhielt im Gegenzug wichtige Positionen zugesprochen, ließ sich aber weiterhin von der Staatsführung nicht allzu sehr in ihre eigenen Angelegenheiten hineinregieren. Ohne die Streitkräfte läuft auch weiterhin politisch in Indonesien nichts.

Der ideologische Konsens in den zivilmilitärischen Beziehungen auf der Kabinettsebene, der Erhalt der territorialen Einheit Indonesiens, wird sich in der praktischen Politik zu bewähren haben. Die Frage des dafür einzuschlagenden Lösungsweges und der Methoden wird für das Schicksal der Regierung und des Landes entscheidend sein. Die Problemregionen Aceh, die Molukken, Irian Jaya und nicht zuletzt WestTimor und die dort hausenden Milizverbände werden die Politik der Regierungsmannschaft ernsthaften Tests unterziehen. Nationale Einheit, territoriale Integrität und entschiedene Führerschaft der zivilen Staatsführung werden die Knackpunkte der Politik der TNI sein. Sollte die Führung die Initiative weiterführen können, die ihr durch den erfolgreichen, weil von einem überwiegenden Teil der Bevölkerung getragenen, Übergang zur parlamentarischen Demokratie zugefallen ist, und sollte sie die Streitkräfte über eine aktive Einbindung in die Verantwortung für das Gemeinwesen einbinden und damit langfristig "zivilisieren" können, stehen die Chancen nicht einmal schlecht. Zuvorderst ist ein neuer Ansatz zur Lösung der vielfältigen Probleme Indonesiens gefordert, wobei die Beziehungen zwischen Zentrum (Regierung und Staatsverwaltung) und den Regionen an der Spitze der Prioritäten stehen. Sie werden über das Schicksal der zivilmilitärischen Beziehungen in Indonesien entscheiden. <>
 

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