Indonesien-Information Nr. 1/2 2000 (Molukken)

Nobelpreisträger im Feld

von Kerstin Beise

Auf den Molukken herrscht Krieg. Ob zwischen Religionen, Provokateuren oder Sultanen weiß niemand so recht. Viele wollen helfen (ein Freund von mir ist zum Jihad aufgebrochen), so auch die "Medicines Sans Frontiers" (MSF), die deshalb bereits seit Ende letzten Jahres in Ambon präsent sind. Dies ist der Bericht über eine der Aktionen der Friedensnobelpreisträger '99, beobachtet mit den subjektiven Augen einer zufällig Beteiligten.

Im Dezember '99 berichtete uns ein amerikanischer Freund und Besitzer eines in Sulawesi gebauten Bootes über ein Angebot von MSF, für eine verlockend hohe Summe einige Ärzte der Organisation mit seinem Schiff nach Ternate, dem damals aktuellsten Unruheherd, zu bringen. Da die Molukken ja nun der Inbegriff eines Inselreiches sind und MSF die Unabhängigkeit von lokalen Transportmitteln als einen ihrer obersten Grundsätze führt, war man schon für die ersten Operationen in und um Ambon auf die Idee gekommen, die indonesischen Schiffe westlicher Besitzer anzumieten, die jeweils für die Dauer der Aktion am Ort verbleiben sollten, wo sie als Wohnung, Fahrzeug und wenn nötig Fluchtmittel dienten. Die Kunde über diesen lukrativen Job machte schnell die Runde unter den Bootsbesitzern (sowie natürlich über die doch jedem so viel wichtigere Möglichkeit, helfen zu dürfen), und da sich die Konflikte auf den Molukken ausweiteten, wurden neue Boote gesucht.

So fand sich unser amerikanischer Freund, der alltags damit beschäftigt ist, Touristen durch die Gewässer um Sulawesi zu segeln, nun in einer recht zentralen Rolle bei der Beschaffung von Booten für Ärzte wieder. Denn es erschien uns, die wir zu jener Zeit zusammen mit ihm in Jakarta weilten und deshalb Zeuge unzähliger Telefonate mit verschiedenen zwischengeschalteten Instanzen, Vermittlern und letztendlich auch Vertretern und Ärzten von MSF selber wurden, als hätten letztere zwar den Wunsch, ihre Leute in Notstandsregionen zu bringen, wüssten aber noch nicht so recht, wohin, wie, wann und mit wem. So war es also unser Freund, der mit Rat und Tat zur Seite stand, wobei ihm selber gelegentlich nicht klar war, wem er nun gerade zum wiederholten Male die verschiedenen Möglichkeiten erklärt hatte, nach Buru, Ternate oder an die Ostseite Halmaheras zu gelangen, geschweige denn, dass man den Eindruck hatte, die Personen an der anderen Seite der Leitung würden untereinander in irgendeinem regelmäßigen Kontakt stehen. Es brauchte also eine geraume Zeit, bis sich das MSF Team schließlich für eine ihrer Ansicht nach beste Kombination von Wegen, Zeiten und Booten entschieden hatte, wobei es sicherlich Zufall war, dass ihre Entscheidung exakt mit der von unserem Freund aus rein geschäftlicher Sicht bevorzugten Variante übereinstimmte.

Diesem lag aber auch an einem wirklichen Gelingen der Aktion, und um zu verhindern, dass sich die indonesische Crew seines eigenen biranesischen Schiffes, das nach Ternate segeln sollte, angesichts der Nachrichten über ihre mordenden Landsleute unterwegs zum Umkehren entscheidet oder durch Kommunikationsprobleme mit Ärzten und Regierungsstellen vor Ort Schwierigkeiten bekommen könne, bat er meinen Gatten Horst als seit langen Jahren von den biranesischen Seeleuten akzeptierten Seemann, die "KLM Rima" bis Ternate zu begleiten (und damit auch mich als seine treue Begleiterin, entlohnt mit -ehrlicherweise- den dringend benötigten Flugtickets Jakarta-Makassar), womit sich die MSF-Zentrale einverstanden erklärte.

Zwei Wochen später erreichte die "Rima" den Hafen von Gorontalo in Nord-Sulawesi, wo das für Ternate abgestellte MSF Team an Bord genommen werden sollte. Was die "Ärzte" in dieser Zwischenzeit getan hatten, denn sie hatten sich schon während der Verhandlungen in Jakarta befunden, weiß man nicht, wir nahmen eigentlich an, sie hätten sich auf das indonesische Leben und seine Regeln vorbereitet. Man schien auch in Gorontalo nicht so unter Zeitdruck zu stehen, als wir sturmbedingt zu spät eintrudelten, hatte Gefallen am Nachtleben gefunden und ging die Vorbereitungen langsam an. Die Schwester (es stellte sich heraus, dass es sich bei dem Team um einen Koordinator und eine Schwester handelte) wurde dann erst mal malariakrank.

Angesichts des Zielgebietes hätte man eventuell entsprechende Medikamente im europäischen Arzneiköfferchen erwarten können, doch zum Glück konnten die beiden ihre private Ausrüstung mit Vorräten aus Gorontalo aufstocken, während die für die Bevölkerung vorgesehenen Medizinkisten aus sicherlich überzeugenden Gründen weiterhin nicht bedacht wurden.

Wir erfuhren erstmals Genaueres über die Operation. Die beiden MSFler waren als Vorhut gedacht, sie sollten die Lage auf Ternate und Halmahera erkunden, sehen, wo und woran Not am Mann ist, in großen Notfällen die mitgebrachte Medizin, sechs oder sieben Kartons, verteilen. Später dann sollte ein weiteres Team an die entsprechenden Stellen geschickt werden.

Man wollte in Ternate nur kurz an Land gehen, den Regierungsstellen Bescheid geben, dass man jetzt da sei, denn die wüssten alle schon von der Ankunft der europäischen Helfer, und dann gleich weiter nach Halmahera fahren.

Diese Kurzinfo rief verschiedene Reaktionen hervor. Zunächst bei der Crew, der nicht klar gewesen war, dass der Hauptteil der Reise in Halmahera stattfinden sollte, und die sich nach Telefonaten bei weit verstreuten Familienangehörigen in jenem Teil Indonesiens zur Meuterei entschlossen, wovon sie weder ihr Lohn, noch das gute Verhältnis zu ihrem Chef, unserem amerikanischen Freund, abhalten konnten. Denn wie und wer sollte z.B. für das Leben des christlichen Crewmitglieds in islamischen Gebieten, oder für das der Muslime in den christlichen, garantieren? Es bedurfte langer Gespräche und eines offiziellen Treffens mit dem MSF-Koordinator, bevor sie sich davon überzeugen ließen, dass MSF eine seriöse Organisation ist, die nicht einfach so ins Blaue fährt, hinter der ein mächtiger Apparat steht, der im Notfall rettend eingreift (die gute Kommunikation hatten wir ja schon bei den Verhandlungen kennen gelernt, also sicher kein Problem bei einem Angriff fix rüberzukommen), dass auch der Koordinator seinen kleinen Sohn zu Hause wiedersehen will, und dass die Welt besser werden muss und deshalb eine so menschliche Aktion unterstützt gehört, erst recht, da es sich schließlich um ihre eigenen Leute dreht (ohne zu erwähnen, dass diese eigenen Leute vorzugsweise ihre eigenen Leute umbringen). Außerdem sei man auf dem Boot ein Team, keiner ließe da den anderen im Stich, das würde er, der Koordinator, garantieren. Die Crew nahm sich diese Worte zu Herzen, willigte letztlich ein, mitzukommen, wohl weniger aus wirklichem Sicherheitsgefühl, sondern eher, um vor der geballten Häufung Weißer nicht als Feiglinge dazustehen, und weil sich bei einigen tatsächlich ein ehrlich gemeintes Gefühl moralischer Verpflichtung regte.

Ein anderes Problem ergab sich daraus, dass MSF nach Halmahera wollte, auch wusste, wo in etwa die meisten Opfer zu erwarten waren, allerdings keinerlei Vorstellungen hatte, wie lange ein kleines Schiff zu all diesen Orten benötigt, und ob bestimmte Gebiete im Gewirr der Inseln überhaupt befahrbar sind. Der Koordinator musste zwei Wochen später, egal was kommt, zurück in Europa beim Geburtstag des kleinen Sohnes sein, also blieb nicht viel Spielraum. Da die Zentrale in Jakarta es versäumt hatte darauf hinzuweisen, dass ihre Vertreter im Feld nicht die Absicht hatten, sich um Kleinigkeiten wie die Reiseroute zu kümmern, kann man sozusagen von Glück reden, dass Horst an Bord war, der nun mit dem Käptn allerlei Berechnungen anstellte und Seekarten studierte, um die Ergebnisse anschließend dem Koordinator zu präsentieren. Dieser war zu diesem Zeitpunkt jedoch noch weniger an Details interessiert, da er nun ebenfalls Malaria hatte. Horsts Angebot, angesichts der noch immer unsicheren Crew und der nicht leichten Fahrt durch die Gewässer östlich von Halmahera selber weiterhin an Bord zu bleiben, statt wie geplant das Schiff aus Zeitgründen nur bis Ternate zu begleiten, wurde von der noch kränkelnden Schwester mit einem weiteren Beweis der überragenden Kommunikation zur Zentrale quittiert, nämlich mit der eher angenervten Feststellung, sie wüsste eigentlich gar nicht, wer wir sind und was wir hier wollen (ich persönlich wollte inzwischen eigentlich lieber zu Hause in Makassar sein). Man würde darüber nachdenken (ob wir den Nobelpreislern helfen dürfen).

Da die MSFler bei den Vorbereitungen zur Abreise also flach fielen, hofften wir auf die Unterstützung des Dolmetschers, auch ohne Erfolg, da dieser junge Mann sich nicht als Laufbursche von MSF fühlte. Ein Dolmetscher war er eigentlich auch nicht wirklich, sondern ein Traveller, der zufällig im gleichen Hotel wie unsere beiden wohnte und die Nationalität des Koordinators besaß. Da man nämlich in Jakarta keinen Dolmetscher gefunden hatte, war man halt ohne losgefahren, in der Hoffnung (und Überzeugung) in Ternate fündig zu werden. "Irgendwie ergibt sich immer etwas", sagte mir die Schwester, und hatte offensichtlich Recht, schließlich hatte man einen Rucksacktouri aufgetrieben, der durchaus auf indonesisch seinen Weg finden konnte, den Rest würde vielleicht die Ausstrahlung des Namens MSF erledigen.

Dieser Name sollte auch für unsere Sicherheit bürgen und daher von großen Aufklebern und Flaggen an allen Seiten des Bootes leuchten. Beim Anbringen überlegten die umstehenden Hafenarbeiter, welche Sprache das wohl sei, na, sicherlich ist das Französische bei den Bewohnern von Halmahera verbreiteter, und das Kürzel auf den Fahnen eine bekannte Größe, so dass man dort von eventuellen Angriffen gleich absehen würde. Es beruhigte die Crew ungemein. Eben solche Wirkung hatte die Bemerkung der MSFler, die durchsickerte und besagte, eher würde man auf den Begleitschutz des Militärs verzichten, als mit ihm in einen Topf geworfen zu werden. Der Käptn schloss daraufhin schon mal kategorisch aus (auf indonesisch, was niemand übersetzte), das Schiff in seiner Verantwortung ohne Militärbegleitung weiter als Ternate zu bringen, denn es war bekannt, dass die verrückten Kämpfer auch mit Speedbooten ihre Gegend kontrollieren, was hätten wir da im Ernstfall mit unserem Fünf-Knoten-Tuckerboot ausrichten können? Nach unserer Rückkehr hörten wir von Speedbootgefechten mit selbstgebauten Schussanlagen in der Bucht von Ambon und den haarsträubenden Report über einen Angriff von fünf Speedbooten auf ein ausgewachsenes Kriegsschiff (welches nach dreimaliger Warnung zurückschoss ....).

Zu diesem Zeitpunkt wussten wir glücklicherweise auch noch nicht, was unseren Kollegen auf den anderen Booten widerfahren war. Ein Schiff in Ambon, dessen Ärzteteam aber aus unbekannten Gründen von der eigenen Zentrale wieder nach Hause geschickt wurde, bevor es überhaupt an Bord gegangen war, hatte den Auftrag bekommen, Medikamente nach Buru zu bringen - alleine, ohne die "schützende" MSF-Begleitung. Unter Protest erfüllte man den Auftrag (wahrscheinlich um den Vertrag und damit das viele Geld für den weißen Bootsbesitzer nicht zu gefährden), lief auf dem Weg aus der Bucht von Ambon auf ein Riff, wurde in dieser Lage von Land aus beschossen, und nur durch die einsetzende Flut gerettet. Als das Boot die Heimreise antrat, sorgte der Bootsbesitzer selber für Sicherheit: er "mietete" ein Kriegsschiff zur Begleitung aus den gefährlichen Gewässern. Ein anderes Boot musste sich alleine auf den Heimweg machen, nachdem die Ärzte in Ambon von Bord gegangen waren, um nach Hause zu fliegen, vorher aber noch darauf bestanden hatten, sämtliche Zeichen ihrer Anwesenheit - sprich die eindrucksvollen Sticker und Flaggen - zu entfernen. Das Schiff überließ man damit ohne offizielle Kennzeichnung seinem Schicksal.

Angesichts solcher Beispiele des Verantwortungsgefühls der MSFler wundert es nicht, dass auch deren eisernes Prinzip, unbewaffnet zu sein und zu bleiben, nicht ernst genommen wurde. Die Weißen hatten gut reden, hatten sie nicht eh erheblich bessere Chancen, heil aus der Geschichte herauszukommen, als die indonesischen Crews? Ein Schiff, das drei Monate in Ambon durchgehalten hat, hatte während der gesamten Zeit zwei Marinesoldaten an Bord - in Zivil, bezahlt von der MSF-Gage, und ohne von diesen enttarnt zu werden! Ihre Maschinengewehre lagen im Küchenschrank und sie begleiteten die ahnungslosen, waffenfreien Ärzte auf ihren Landgängen, weil sich die Crew um sie sorgte. Alle wussten es, nur die MSFler nicht. Erst als ein frisch angestellter Bootsbesitzer ebenfalls Begleitschutz bei der Zentrale forderte, flog die Sache auf, der lokale Chef des MSF-Teams wurde gefeuert. Völlig unbewaffnet aber wäre die Aktion vom Scheitern bedroht gewesen, weil sie kaum einer Schiffsmannschaft zuzumuten war: Die Crew hatte vor der nahen Küste Ambons den Gefechten an Land zugeschaut. Sie waren zum Einkaufen auf die Märkte gegangen, als die von MFS vor Ort angestellten (unbewaffneten) Sicherheitskräfte sich nicht mehr heraustrauten. Ambonesische Kämpfer waren an Bord gekommen, um sie auf ihre Religion zu prüfen. Der alte Cudding meinte bei dieser Gelegenheit auf die Frage "obet/acang?", "Nein, nein, mein Name ist Cudding!". Er kehrte vorzeitig um, weil er den Stress nicht mehr ertrug. Auch der Käptn wollte nach Hause, wurde aber von seiner Crew überzeugt, dass man als Team beisammen bleiben müsse. Einer der Seeleute fasste seine Eindrücke so zusammen: "Das Leben eines Huhnes dort hat einen Preis - den auf dem Markt. Ein Menschenleben ist nichts wert". Und all das mit wechselnden MSF Passagieren, bei denen die Seeleute kaum wussten, welches die überheblichsten waren, die sich von ihnen die Wäsche waschen ließen und sich mit ihnen inmitten des zerstörten Ambon über kaputte Schuhe stritten.

An Bord der "Rima" hatten wir (obwohl weiß) jedenfalls drei lange Parangs dabei, ganz offiziell als unerlässliches Werkzeug eines Schiffes deklariert, und über die Waffen, die die übrigen Crewmitglieder unter ihren Kopfkissen versteckt hielten, gibt es nur Andeutungen.

Aber nun sollte es doch erst mal losgehen. Horst konnte die beiden Gäste davon überzeugen, dass die vom Käptn festgelegte Abfahrtzeit eingehalten werden müsse, die auf traditionellen Berechnungen basierte, um das Schiff vor noch mehr Unheil zu bewahren. Zwei noch etwas schwächliche Europäer wurden an Bord gebracht, ein Traveller, ein paar Kartons Medizin, ein Satellitentelefon und ganz viele Kartoffeln, denn man hatte klargestellt, dass man eher Hunde als Reis essen würde. Die kurze Überfahrt nach Ternate verlief ruhig, das Satellitentelefon wurde dreimal täglich eingesetzt, um Jakarta die jeweilige Position durchzugeben und zu berichten, dass alles nach Plan läuft. Am zweiten Tag wurde auch Ternate telefonisch angepeilt, um der Regierung sowie dem Militär die unmittelbare Ankunft zu verkünden. Der Traveller gab sich große Mühe, seine Aufgabe zu erfüllen, erntete dabei leider nur Kritik. Die Schwester warf ihm vor, von den Medikamenten erzählt zu haben. (Hatte man vor, die Kartons zu verstecken oder durchzuschmuggeln? Waren sie nicht eh längst bei unterschiedlichsten Stellen registriert?) Der Chef der Crew nahm mich zur Seite und deutete mir in aller indonesischer Höflichkeit an, dass wir alle besser beraten wären, würde Horst diese heiklen Gespräche führen, da der nun mal seit zehn Jahren so was macht, was ich möglichst neutral an die MSFler weitergab, die sich daraufhin ganz offensichtlich schweren Herzens durchrangen, diesen immer alles besser Wissenden um Hilfe zu bitten. Ohne behaupten zu wollen, dass es nicht auch anders gegangen wäre, schien uns danach ein freundlicher Empfang gesichert.

Wir fuhren nachts in die Gewässer zwischen Ternate und Tidore ein, begleitet von "Obet atau Acang"-Rufen ("Christ oder Moslem?") aus kleinen Fischerbötchen, und legten seitlich an einem mächtigen Kriegsschiff an, dass uns erwartete. Der Zufall wollte es, dass es sich um das selbe Schiff handelte, das im letzten Jahr das große Sandeq Race in Sulawesi begleitet hatte, Bekannte also, die Horst sofort persönlich begrüßten. Somit verzichtete man auch darauf, den Auftrag auszuführen, "Ärzte" samt Medizin aus Sicherheitsgründen gleich an Bord des Zerstörers zu nehmen. Bei den MSFlern jedoch stiegen offensichtlich alle möglichen Verdächtigungen auf, da bei ihnen Militär erst mal grundsätzlich als nicht vertrauenswürdig gilt. Über TNI in den Molukken gibt es ja nun auch böse Nachrichten, zumindest Gerüchte, so war es vielleicht logischer anzunehmen, dass auch Horst zu den Bösen gehört, wenigstens zu den Naiven, als in Erwägung zu ziehen, dass es möglicherweise auch Ausnahmen beim teuflischen Militär gibt. Horst sank nun jedenfalls weiter in ihrer Gunst.

Noch in der Nacht wurden wir eingeladen, uns Videofilme auf dem Marineschiff anzusehen, die während dessen mehrwöchigen Aufenthalts gedreht worden waren. Man sah Evakuierungen von Flüchtlingen, zerstörte Orte und bewaffnete Kämpfer. Viel war von den Dörfern nicht übrig. Unzählige Flüchtlinge hatte das Boot transportiert, jeweils nach Religion sortiert.

Zu den christlichen Flüchtlingen, so erzählte der Marinekäptn (und wer es nicht glauben will, der wird es auch nicht glauben) schicke er stets seinen ersten Offizier, einen Christen, der ihnen sagt: "Hört mal, da habt ihr aber ziemlichen Mist gebaut". Den islamischen Flüchtlingen sagt er selber als Moslem das gleiche.

Am nächsten Morgen gab es kein Frühstück, weil der christliche Koch nicht aus seinem Versteck in der Küche herauskam: Er hatte Angst, sich den Fischern in ihren kleinen Bötchen zu zeigen, die die Meerenge und den Hafen bereits wieder bevölkerten. Matrosen des Kriegsschiffes erzählten zu seiner Beruhigung, dass vor kurzem zur Abschreckung noch einige malträtierte christliche Leichen an der Kaimauer des Hafens gehangen hätten, die sie aber entfernt hatten, und nun doch alles ruhig schien. Die ansonsten muslimische Crew machte Scherze, um die Stimmung aufzulockern, während der alte Daeng Sigau schnell die roten Handtücher (die christliche Seite schmückt sich mit roten, die muslimische mit weißen Stirnbändern) von der Leine nahm.

Die beiden MSFler hatten lange geschlafen und wollten nun an Land. Ein Schnellboot mit Landstreitkräften kam nach geraumer Zeit heran, bevor es aber die beiden mit an Land nahm, kam es zu langen Diskussionen. Der Offizier war beauftragt, auch die Medikamente mitzunehmen, was natürlich von MSF strikt verweigert wurde, denn sie fürchteten, ihre Kartons würden dann gleich eingesackt werden. Zu Horst, der schon an Bord des Schnellbootes war, weil die Armee ihn als Übersetzer und Vermittler dabei haben wollte, meinte der Offizier, auf Ternate hätte es sich bereits herumgesprochen, dass da ein Schiff mit Medizin ankert. Wenn jetzt die Weißen, was gleichbedeutend mit Christen sei, ohne die Medikamente an Land kämen, würden die Leute vermuten, man wolle sie für Christen aufheben, und wieder Ärger machen. Gegenüber den MSFlern blieb er einfach strikt bei seinem Auftrag: "Befehl ist Befehl". Nach einer Stunde erfolgloser Diskussion wurde das Satellitentelefon bemüht, Jakarta rief dann bei irgendwelchen Stellen auf Ternate an, und nach weiterem Zeitverstreichen feierten die Europäer plötzlich Triumph: Sie durften ohne Medikamente an Land.

Allerdings nur zu einem Besuch beim Gouverneur, danach mussten sie unverzüglich zurück an Bord, ohne sich auf Ternate in Krankenhäusern oder Flüchtlingslagern (die es in Ternate gar nicht gibt, weil die Christen allesamt weg sind und die von Halmahera geflohenen Moslems in deren ehemaligen Häusern wohnen) umgucken zu dürfen. Es klang also mehr nach einer vorläufigen Besänftigung.

Der Dolmetscher hatte inzwischen sein bestes T-Shirt aus dem Rucksack gekramt, die MSFler wollten in der letzten Sekunde nun doch ohne Horst (der die ganze Zeit verdächtigerweise mit dem Militär geschnackt hatte) zum Gouverneur und los ging's. Es vergingen zwei oder drei Stunden, bis das Schnellboot wieder an der "Rima" anlegte. Die drei kletterten an Bord, es sei so mittelmäßig verlaufen, meinte der Traveller gut gelaunt. Was tatsächlich geschehen war, erfuhr man erst nach und nach, offensichtlich waren sich die MSFler selber noch nicht so recht bewusst darüber. Sie hatten den Gouverneur getroffen, hatten ihm gesagt, was sie vorhatten, nämlich unabhängig herumreisen und die Lage checken, ihre kleinen Medizinvorräte dort verteilen, wo sie es für richtig hielten. Der Gouverneur hatte "Nein" gesagt, sie könnten ihre Medikamente hier lassen, bekämen aber keine Erlaubnis, sich umzusehen. Sie hätten zwei Stunden mit Hilfe des Travellers auf ihn eingeredet, bis sie zum Schluss gar ausgelacht worden seien, was die Schwester gar nicht nett fand. Deren Eindruck nach hatte es von vorneherein keine Möglichkeit gegeben, ein Schlupfloch, einen Kompromiss zu finden, nach dem MSF immer suche. Wahrscheinlich, so ihre Interpretation, gäbe es hier einiges zu verbergen (am Tag darauf wurde von der Regierung in Jakarta die Journalistensperre für die Molukken aufgehoben).

Nach Meinung der Crew hatten die drei von vornherein keine Chance, weil ihr Auftreten sicher nicht den Anforderungen der Höflichkeit gegenüber einem Gouverneur entsprochen habe, nachdem sie schon dem Offizier so vor den Kopf gestoßen hatten. Nach der Meinung anderer hätten die beiden mehr über den Umgang mit indonesischen hohen Tieren wissen müssen, hätten entgegenkommender sein sollen, z.B. einen Teil der Medikamente opfern, um den Rest frei verteilen zu können. Über die Argumentation der indonesischen Seite wissen wir nichts: ob sie um die Sicherheit des Teams fürchteten, ob sie beleidigt waren über deren überhebliches, bestimmendes Auftreten, ob sie verhindern wollten, dass Christen geholfen wird oder einfach nur uninteressiert waren an den paar Kartons im Vergleich zu der Unruhe, die sie hätten stiften können.

Das Satellitentelefon wurde heiß geredet, es nutzte alles nichts, die Mission war nach nur einem Tag gescheitert, all die Spendengelder dahin, ohne einen Gewinner - abgesehen von dem Bootsbesitzer (dessen einmonatiger Vertrag vollständig bezahlt wurde) und dem Hafenmeister von Ternate, der sich die vierhundert Meter Transport zu unserem Schiff mit Rp. 150.000,- entlohnen ließ, und auch vor dem Kapitän des Kriegsschiffes von dieser vollständig willkürlichen Summe nicht abwich. Aus Ambon hörten wir später, dass dort von MSF angestellte Helfer mittlerweile glückliche Besitzer mehrerer Autos sind.

Wir konnten nichts tun, als uns noch am selben Tag auf den Rückweg nach Sulawesi zu machen. Man hatte vor, die dortigen Flüchtlingslager mit der Medizin zu beglücken, was sicher sehr begrüßt wurde, auch wenn man sich in diesen Camps über Mangel an Spenden nicht beklagen kann (ist es eigentlich ein Zufall, dass MSF nicht aufs islamische Ternate, sondern zum christlichen Halmahera wollte und nun in den christlichen Camps Nordsulawesis landete?). Das Kriegsschiff, das weiterhin Flüchtlinge aus den zerstörten Regionen bringen wird, hatte hingegen keine Antibiotika und kaum mehr Verbandszeug an Bord. Trotz aller Bitten, MSF blieb prinzipientreu: Militär kriegt nichts von uns! Auch der umfangreiche Vorrat an privaten Medikamenten der beiden blieb unangetastet.

Die Rückfahrt verlief schweigsam, wobei der Crew ihre riesige Erleichterung ins Gesicht geschrieben stand. Das letzte, was wir nach der Ankunft in Nordsulawesi von den beiden Passagieren sahen, war ein kurzes Nicken, weg waren sie. Die Crew, der da noch das Gerede von "einem Team" auf dem Schiff in den Ohren klingen mochte, hörte keinen Abschiedsgruß, geschweige denn ein Danke.

Kein Seemann der verschiedenen Schiffe will jemals wieder eine solche Tour machen. Sie haben ihr Leben riskiert, um die Aktionen zu unterstützen, mussten aber feststellen, dass sie selber nicht viel mehr als das Inventar auf ihren Booten zählten. Die Schwester machte dies uns gegenüber irgendwann sehr deutlich: "Eure Aufgabe ist es einzig, uns dahin zu bringen, wo wir hin wollen". Nun, sie waren da, haben Tausende von Dollars für Flugtickets, Bootscharter, Hotels, Satellitentelefoniererei ausgegeben und vermutlich zu guter Letzt dann ein paar Medikamente dort verteilt, von wo sie aufgebrochen waren. Es ist gut, dass nicht die Bewohner Halmaheras über die Verteilung von Nobelpreisen zu befinden haben ... <>
 

Zurück zur Hauptseite Watch Indonesia! e.V. Back to Mainpage