Indonesien-Information Nr. 1/2 2000 (Militär)

Die 'mutasi' und ihr Sinn Handlungsoptionen offen zu halten

von Ingo Wandelt

'Mutasi' sind Versetzungen von militärischen Kommandeuren und Chefs auf neue Dienstposten. Sie pflegen in Indonesien periodisch und konzentriert um bestimmte Anlässe herum vorgenommen zu werden. Ihr Auftreten ist immer mit einer Fülle von Spekulationen begleitet, denen das indonesische Militär selbst immer mit verbalen Beschwichtigungen zu antworten pflegt im Stile eines 'Bei uns ist nun alles neu, doch, kein Grund zur Aufregung!, auch alles gleich geblieben!' Das kommt der Wahrheit stets am nächsten.

Die Strukturen des indonesischen Militärs bestehen aus zwei Bereichen oder Dimensionen, die nebeneinander existieren und sich im Zustand eines Fließgleichgewichts zueinander befinden. Für den außenstehenden Beobachter sind sie verwirrend, weil sie nicht nur die internen Machtbeziehungen und -verhältnisse ihrer handelnden Elemente verschleiern, sondern in der Tat auch niemals festgefügt sind. Das indonesische Militär ist keine fest geschlossene Organisation, sondern ein Beziehungsnetz, in dem Akteure ihre Fäden ziehen und in dem jeder Akteur weiß, dass er nicht ohne die anderen handeln kann. Das Modell des javanischen Schattentheaters bietet sich an, in dem nicht die finale Lösung im Verständnis eines göttlichen Reiches paradiesischen Stillstandes, sondern das harmonische Mit- und Nebeneinander aller Beteiligten im täglichen Mit- und Gegeneinander angestrebt wird. Gut und Böse als moralische Kategorien sind unpassend, weil nur der Fortbestand des Ganzen und seiner konstituierenden Bestandteile bei größtmöglicher Handlungsfreiheit für jeden angestrebt wird.

Dimension oder Ebene 1 ist die formale Organisation, die der heute weltweit üblichen Militärorganisation gleicht. Dort finden wir militärische Einheiten Brigade, Kompanie, Zug usw., ebenso Befehls- und Kommandowege, Dienstposten und Ränge, Karriereleitern wie überall auf der Welt auch. Bei näherer Betrachtung zeigen sich eigentümliche Strukturen. Die Einheiten haben sehr unterschiedliche Größen. Ein Bataillon kann zwischen 500 oder 1.000 Mann haben, aber warum und wieso ist unklar. Ein Offizier sollte die Militärakademie AKABRI besucht haben, aber nicht jeder hat es getan. Militärische Ränge sind recht willkürlich zu erreichen, manche kommen über nachweisliche Karrierestufen im Dienst über Jahrzehnte hinweg in die Führungsspitze, manche rasen geradezu durch die Dienstgrade nach oben, überspringen manche Rangstufen, um dann sang- und klanglos aus den Streitkräften zu verschwinden. So erschienen gerade im Ausland immer wieder Offiziere und Generäle, von denen nie jemand zuvor erfahren hat, die völlig außerhalb der öffentlichen Aufmerksamkeit aufgestiegen sind, von Indonesiern mit Respekt behandelt werden und Dinge möglich machen können, und sich dann ausländischen Firmen als Kontaktpersonen für allerlei Geschäfte andienen. Sie sind die Oberflächenerscheinungen der zweiten, unterliegenden Ebene der Militärorganisation, die die wahren Beziehungsstrukturen reflektiert.

Jede Veränderung an der zivilen Staatsführung und der militärischen Führungsspitze bewirkt wellenförmige Veränderungen bis in die Tiefen der Streitkräfte hinein, eben diese mutasi. Beobachter im In- und Ausland wetteifern dann um Analysen der militärinternen Machtverhältnisse und offerieren Prognosen der künftigen Militärpolitik. Sie ziehen die militärischen Ausbildungs- und Karrierewege der betreffenden Offiziere heran, ihre öffentlichen Äußerungen der jüngeren Zeit und versuchen damit, deren Absichten und Wertehaltungen herauszuarbeiten. Auch Erwartungen, Träume und Illusionen mischen sich hinein. Meistens liegen sie damit falsch, weil sie gegen ein fundamentales Prinzip der indonesischen Militärorganisation zu arbeiten haben: die Willkür. Es bleibt allein den militärischen Akteuren vorbehalten, was sie tun werden. Ihre, und nur ihre Lagebeurteilung und ihre Ziele bestimmen die konkrete Militärpolitik. Wie die Lagebeurteilung aussieht, welche Ziele es sind, ja welche Akteure überhaupt im Militär als Akteure bezeichnet werden können, ist immer erst in der historischen Betrachtung zu erkennen, und oft auch dort nicht. Verschleierung und Täuschung sind nicht nur Mittel der militärischen Politik Indonesiens, sondern ihre Wesensmerkmale, die nur eins verbergen: wie schwach die Streitkräfte in Wirklichkeit sind. Eine sich exklusiv verstehende Armee von maximal einer halben Million kann niemals einer Bevölkerung von 210 Millionen Zivilisten widerstehen, kann auch niemals einen komplex strukturierten Archipel wie Indonesien zusammenhalten. Täuschung und organisatorische Flexibilität bis hin zur eigenen Unkenntlichkeit ist das einzige Rezept für den Fortbestand der indonesischen Streitkräfte gewesen und wird es bleiben. Jegliche Professionalisierung oder Verreglementierung im Sinne weltweiter Militärstandards wird die TNI über kurz oder lang an ihren inneren Widersprüchen zerbrechen lassen. Transparenz bedeutet Auflösung. Die TNI muss deshalb bestrebt sein im Hintergrund zu bleiben, nicht die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, Beeinflussungsversuche von außen abwehren, aber dennoch die Möglichkeit haben, immer dann in Staat und Gesellschaft einzugreifen, wenn ihre fundamentalen Interessen auf dem Spiel stehen. Die neue Regierung Wahid hat daran nichts geändert, und wollte es offensichtlich auch nicht.

Das Beispiel Kopassus

Militärische Kommandos sind kleine Königreiche, und die Machtfülle im Kommando erlaubt das Ausleben persönlicher Weltanschauungen, Wertehaltungen des Kommandeurs zugunsten dessen, was er als das Beste für sich, seine Einheit und die Armee im allgemeinen hält. Ein gutes Beispiel dafür sind die strategischen Heereseinheiten, die außerhalb der Territorialstruktur angesiedelt sind, vor allem Kopassus. Das Sondertruppenkommando des Heeres (Special Forces Command) besteht seit seiner letzten Restrukturierung von 1996 aus zwei organisatorischen Ebenen. Dem Hauptquartier in Cijantung sind fünf sogenannte 'Grup' von Regimentsstärke unterstellt, die HQs in Cijantung (Jakarta), Batujajar (Bandung), Kartosuro (Surakarta) und Serang besitzen. In der zweiten Ebene kennt Kopassus vier offizielle Brigaden, die aber nach glaubwürdigen Aussagen von Experten niemals eingesetzt wurden. Die mysteriösen 'Gruppen' sind sehr lose organisierte Einheiten. Grup I und II sind gekennzeichnet als Fallschirmjäger, Grup III ist das Ausbildungszentrum, das Mitte der neunziger Jahre unter seinem Kommandeur Prabowo Subianto für die Aufstellung paramilitärischer Milizen in Ost-Timor zuständig war, und Grup V - vormals D81 - ist die offizielle Antiterroreinheit des Heeres. Gruppe IV, nachweislich verantwortlich für die Entführung und Ermordung von Demokratieaktivisten über den Jahreswechsel 1997/98 - das sog. Tim Mawar ('Trupp Rose') wurde im September 1998 diesbezüglich vor einem Militärtribunal zur Verantwortung gezogen - entspricht am meisten der flexiblen Militärstruktur der vorgenannten zweiten, informellen Ebene.

Gruppe V mit Namen Sandhi Yudha, neu- oder militärjavanisch für verdeckte Kriegführung, ist das, was innerhalb der Nato als Fernspähereinheit bekannt ist. Fernspäher arbeiten ohne Uniform hinter den feindlichen Linien mit Geheimauftrag. Sie besitzen exzellente Kenntnisse des Ortes und der Kultur, einschließlich der Sprache des Feindraumes, vollziehen Sabotageakte oder beeinflussen und organisieren die Bevölkerung gemäß ihrem Auftrag, sind dabei aber vollständig auf sich gestellt. Gemäß dem Prinzip der deniability (Abstreitbarkeit) verweigert ihre Führung im Falle ihrer Aufdeckung jegliche Verantwortung oder Beziehung für sie. Für die Gruppe V Kopassus gilt, dass das Feindgebiet nicht nur aus Ost-Timor, Irian Jaya, Aceh oder anderen der Zentralregierung ablehnend bis feindlich gegenüberstehenden Gebiete und ihrer Bevölkerungen besteht, sondern auch und besonders das indonesische Kernland Java und die Hauptstadt Jakarta umfasst. Die Grenzen zwischen Freund und Feind sind bewusst verwischt, denn (potentiell) jeder ist Freund, und (potentiell) jeder ist Feind.

Grup V organisiert sich in flexible Trupps, den 'tim', oft arbeiten die Mitglieder aber auch als Einzelagenten im Feindgebiet. Es ist daher nicht verwunderlich, wenn Beobachter Kopassus-Männer (von Frauen ist nie die Rede) als Anstifter, Ausbilder und Kommandeure von Milizen, z.B. in West- und Ost-Timor ausmachen oder als Überläufer und Deserteure in Aceh, als Demonstranten beim Sturm auf die PDI-Zentrale in Jakarta 1996. Es gehört zu ihrem Auftrag. Einsätze der Kopassus sind niemals zu beweisen. Auch wer Kopassus führt, ist unklar. Auf der ersten, formellen Ebene unterstehen sie dem Panglima, danach dem Heeresstabschef und schließlich dem Danjen Kopassus, auf der zweiten Ebene dem, der die Macht besitzt, sie zu mobilisieren und einzusetzen. Letztlich ist es eine nur für sich arbeitende, und nur ihrem Ehrenkodex verpflichtete, bestens, u.a. in den USA, Australien und England ausgebildete Truppe, die für Indonesien ein schwerwiegendes Sicherheitsproblem darstellt. Kopassus ist ein sozialer Nuklearsprengsatz, der, wie Ost-Timor anschaulich demonstriert hat, jederzeit explodieren kann und dann, wenn er hochgeht, nicht nur Indonesien, sondern die gesamte Region Südostasien erschüttert.

Aber nicht jeder TNI-Mann ist der Chef von Kopassus. Wer nicht im Heer ist, hat wenig Chancen auf eine Karriere, die wirkliche Macht und Geld bringt. Im Heer selbst gilt in den ersten fünfzehn Jahren des Dienstes strenge Disziplin, Schnauze halten und parieren. Erst ab dem Oberst winkt Einfluss und Geld, und erst dann wird ein Offizier zum Mitspieler im Armee-Poker. Und wer kein Offizier wird, bleibt ein armes Schwein.

Die Zukunft der TNI

Die Führung der TNI benötigt für ihren Fortbestand den möglichst breiten Handlungsspielraum zum Eingreifen in die sozialen und politischen Prozesse, wenn ein Handeln dem Kommandeur erforderlich scheint, einschließlich der Option des folgenlosen Rückzugs.

Die offene Gewaltanwendung hat den Streitkräften nur Ärger und Rückschläge eingebracht. Sie hat ihren in Teilen der Gesellschaft noch vorhandenen Rückhalt geschwächt und eine breite Skala von zivilem Protest hervorgebracht, der vom passiven bis hin zum offenen, in Landesteilen wie Aceh auch gewaltsamen Widerstand reicht. Das letzte Beispiel Ost-Timor hat auch dem letzten militärischen Betonkopf eindrücklich gezeigt, wie schädlich ein offen aggressives Vorgehen im Sinne des 'Sicherheitsansatzes' (pendekatan keamanan) im Ausland wirkt. Die Weigerung der Vereinigten Staaten, des wichtigsten militärischen Verbündeten der indonesischen Streitkräfte, zur Fortführung der intensiven militärischen Kooperation schmerzt die TNI. Fehlende Ersatzteillieferungen reduzieren die technische Einsatzbereitschaft, und die Aufkündigung der Ausbildungshilfe ist ein Zeichen des Misstrauens an den einst so geschätzten südostasiatischen Sicherheitspartner. Die TNI ist, erstmalig in ihrer Geschichte, zu einem Kurswechsel in ihrer Politik und ihrem Verständnis von Sicherheit gezwungen. Vorrangig betrifft es die sichtbaren äußeren Formen der Gewalt, die von der Weltpresse dokumentiert und weltweit verbreitet werden. Es wäre voreilig, davon bereits auf eine Änderung des Sicherheitsverständnisses der TNI insgesamt oder der Reformierung in Hinblick auf eine Abschaffung der informellen Ebene zu schließen.

Die unfriedliche Gesellschaft

Die provozierten Gewaltakte der neunziger Jahre sind zu einem perfekten Instrument der indirekten sozio-politischen Steuerung herangereift. Provokateure, deren Identität stets unerkannt bleibt, entfachen lokal begrenzte Ausschreitungen mit massivem Schaden an Hab und Gut und oft auch an Menschenleben entlang der ethnisch-sozialen Bruchlinien, die mit der ungleichen Verteilung von Macht, Ressourcenzugriff, Einkommen und Lebenschancen in der indonesischen Gesellschaft der Suharto- und nach-Suharto Gesellschaft einher gehen. Diese Bruchlinien laufen immer parallel zur sozio-religiösen Grenze zwischen Islam als Mehrheitsreligion und dem Christentum. Geschürte Unruhen haben als Opfer Sino-Indonesier (Christen) auf Java und in Medan, Dayak (Christen) auf Kalimantan, Christen auf Ambon und Ternate, Papua (Christen) in Irian Jaya, und Ost-Timoresen (katholische Christen). Vorwand und Entschuldigung bieten stets angeblich in ihren Rechten verletzte und beleidigte muslimische Gruppen, die oft genug selbst zwischen die Mühlsteine der inszenierten Gewalt geraten.

Die Instigatoren von Unruhen erscheinen als schemenhafte, weil oft maskierte identitätslose Vernichter mit einer deutlichen Signalwirkung: es ist der betroffenen Bevölkerung immer klar, dass sie im Auftrag einer mächtigen Person und seiner Gruppe handeln, und dass eine offene Konfrontation mit dieser Gewalt nur die weitere Konfrontation mit den wahren, aber verborgenen Urhebern bringt. Die Skala der Gewalt reicht vom Einsatz von Schlägerbanden aus dem organisierten kriminellen Milieu über Miet-Mobs bis hin zu militärisch organisierten Milizverbänden. Die Bevölkerung weiß, dass die Streitkräfte käuflich sind, und dass man sie kaufen muss, will man seine persönliche Sicherheit gewährleisten. Sicherheit ist eine Ware, die zunehmend an Bedeutung und Preis zulegt. Kriminalität und 'Sicherheits-' Kräfte sind eins, die alten kulturellen Instrumente wie unauffälliges Verhalten, Zurückhaltung, Wegschauen und Nicht-Sehen-Wollen wirken nicht mehr. Wer in das Fadenkreuz einer an Gewalt interessierten Kraft gerät, dem wird im besten Falle nur Geschäft, Haus und Hof abgebrannt, in schlimmeren Fällen sind Leib und Leben seiner Angehörigen höchsten Gefahren ausgesetzt. Die offizielle staatliche Gewalt, Polizei und Sicherheitskräfte, zeichnen sich durch Anwesenheit aus. Sie sind niemals da, wenn es ernst wird, wenn die Städte brennen. Sie erscheinen erst dann am Tatort, wenn die Täter sich bereits in die Sicherheit der Anonymität zurückgezogen haben, verkünden lautstark intensive Untersuchungen, die dann immer im Sande verlaufen oder bestenfalls kleine Mitläufer als Täter präsentieren. Die staatliche Gewalt ist nicht die Lösung, sondern ein Teil des Problems. Jeder weiß, dass das Militär hinter einer jeden Unruhe steht, nur wer im Militär, und mit welchen Absichten, ist spekulativ. Im Zweifel ist die Antwort Kopassus immer richtig, weil sie vielleicht nicht die Tätergruppe, aber doch das System bezeichnet. Eine Beweisbarkeit ist ohnehin ausgeschlossen. Der Staat als regulierende Gewalt in der Gesellschaft ist längst tot, und der Staat hat sein Gewaltmonopol nicht erst jetzt, sondern bereits mit der Ausrufung des nationalen Notstandes am 14. März 1957 an seine Streitkräfte verloren, die es ihm in der Folgezeit niemals wieder zurückerstattet haben. In den Händen des Militärs diente es den Präsidenten Sukarno, dann Suharto, und zuletzt erfolglos Habibie als ein Instrument, ihre Interessen gegenüber ihren Rivalen durchzusetzen. Sie alle sind schließlich an den aufrecht erhaltenen Widersprüchen in der Gesellschaft, und letztlich am Militär gescheitert.

Indonesisches, besonders javanisches Harmoniedenken sieht die Lösung in einem Ausgleich der Kräfte in der Gesellschaft. Wenn einmal, so die Gedankenführung, alle Kräfte ihren Platz gefunden, eine gemeinsame Gesprächsbasis errichtet, und eine zentrale Bezugsachsee in Gestalt eines Präsidenten zurückgewonnen haben, dann werden sich alle Kräfte ihrer Verantwortung für das Gemeinwohl bewusst werden, in sich gehen und von ihren Mitteln Abstand nehmen. Dann ist das Chaos der Ordnung gewichen, dann ist Ausgleich an die Stelle der Polarisierung getreten. Friede tritt ein. Das große Mandala, die Ordnung der Welt um den Herrscher herum, ist dann wieder hergestellt, und die kleinen Mandala, die Fürstentümer mit ihren zivilen und militärischen bapak oder väterlichen Führungsgestalten, balancieren sich um die Weltachse in Gestalt des Präsidenten herum. Dieser Weg wird vom Präsidenten Wahid beschritten. Er präsentiert sich mit den javanischen credentials des Semar, der körperbehinderten Clownsgestalt des Schattentheaters, der den Irrungen und Wirrungen des Weltenlaufes dermaßen entrückt ist, dass er sie über Scherze und Witze ad absurdum und damit einer neuen Bestimmung zuführen kann. Semar der weise und deshalb mächtige Führer der Heldengestalt Arjuna. Ob Wahid ein neuer Semar ist, bleibt abzuwarten. Es erfordert das Mitspielen der anderen in diesem Schattentheater. Einbeziehen statt Ausgrenzen ist angesagt. Die Kräfte der Destabilisierung müssen durch ihre Integration zu Kräften der Stabilisierung werden. Dazu ist ein Schlussstrich unter die Vergangenheit zu ziehen, der Blick nach vorn zu richten. Straffreiheit für kriminelles Tun und Menschenrechtsverletzungen für Offiziere ist nicht das Thema, sondern dass es erst gar nicht zu Anklagen kommen darf. Der javanische Weg, Versöhnung statt Buße, Einheit statt Zersplitterung. Sein Erfolg ist nicht garantiert.

Die Option des innergesellschaftlichen Krieges geringer Intensität ist eine Verlockung, jederzeit angewendet zu werden, wenn es einem oder mehreren Mitspielern gefällt. Denn nicht nur das Militär hat gelernt, dieses Spiel zu spielen. Der gesellschaftliche Unfriede hat sich für viele, und vor allem für die sich traditionell selbstfinanzierenden Streitkräfte, finanziell gelohnt. Wer Geld und Wohlstand hat, muss Sicherheit beim Militär erwerben. Unsicherheit macht sich bezahlt, und wer zahlt, dem geschieht auch nichts. Je unsicherer Indonesien ist, desto mehr profitieren die 'Kräfte der Sicherheit'. Die TNI ist heute finanziell vom Staat weniger abhängig als noch vor zehn Jahren.

Schwarze Flecken: Terrorismus in Indonesien

Es gibt in Indonesien immer offensichtliche Themen, die niemand zu beachten scheint. Es lohnt sich immer, sie genauer anzusehen. Ein solches Nicht-Thema ist der neue Terrorismus.

Scheinbar unbeteiligt steht das in Indonesien wirtschaftlich engagierte Ausland am Rand des gesellschaftlichen Unfriedens in Indonesien. Dabei hat sich die Lage seit dem September 1999 grundlegend geändert. Das Gewaltpotential der anfänglich aus Ost-Timoresen rekrutierten Milizen wurde ausgebaut, die Rekrutierungsbasis auf Sulawesi und Ostindonesien ausgedehnt und der Einsatzraum auf die kleinen Sundainseln, Bali, Java und vor allem Jakarta ausgedehnt. Die Milizen wurden mobil und landesweit einsetzbar. Einbezogen wurden kleine, straff organisierte fundamentalistische Islamgruppierungen wie Front Pembela Islam und andere, die vor den Unruhen vom 24. September 1999 in Jakarta offen als paramilitärische Verbände in Erscheinung traten. Sie haben Rückhalt bei islamischen Kreisen indonesischer Offiziere, die indonesische Beobachter mit der Bezeichnung TNI-Taliban belegen, aber kaum in der breiten Bevölkerung. Ihnen werden Bombenattentate z.B. auf die Anhänger der Partei Megawatis, PDI-P, am Tage ihrer Wahl zur Vizepräsidentin in Jakarta, aber auch auf islamische Einrichtungen wie die große Moschee in Jakarta angelastet. Diese kleinen, straff organisierten Gruppen traten auch als Organisatoren von Demonstrationen gegen australische und US-amerikanische Firmen in Ostindonesien auf.

Als australische Truppen an der Spitze der Interfet in Ost-Timor einmarschierten, organisierten staatsnahe Einrichtungen in Indonesien eine seit den fünfziger Jahren nicht gekannte Kampagne der Fremdenfeindlichkeit gegen die 'bule', die weißen 'Albinos' aus Australien und dem Westen allgemein. Zeitungen wie Republika, hinter der die muslimische ICMI und Habibie stehen, und andere, und vor allem die staatliche Nachrichtenagentur Antara entfachten eine für Indonesien beispiellose mediale Weißenhatz. Sie bildeten das mediale Aushängeschild für einen indonesischen 'Volkszorn', auf der fundamentalistische Quasi-Taliban Gruppen agieren. In ihrem Nationalstolz durch die als neo-kolonialistische Interventionstruppe dargestellte Interfet verletzt, wurden handgreifliche Attacken auf Australier und australisch, also weiß, aussehende Europäer gemeldet. Unbekannte Schützen, die von der Polizei nicht identifiziert werden konnten, beschossen mehrfach die australische Botschaft in Jakarta.

Ein Vorfall am Rande gibt zu denken. Da hat laut Berichten von Report München und der Süddeutschen Zeitung der ehemalige CSU-Staatssekretär Holger Pfahls - der in Zusammenhang mit der Panzer-/Schmiergeld-Affäre um Walter Leisler-Kiep ins Gerede kam, sich anscheinend der Obhut indonesischer Nachrichtendienstkreise anvertraut, um einer Strafverfolgung in Deutschland zu entgehen. Report München entsendet ein Kamerateam nach Bali, folgt verdeckt dem Sohn Pfahls mit der Kamera, spürt Pfahls Unterkünfte in verschiedenen Luxusressorts auf Bali auf, mobilisiert sogar die örtliche Polizei zur Spurenverfolgung, spürt jedoch Pfahls nicht auf. Welch eigenartiger Film läuft hier ab? Wäre früher nicht ein Überläufer und Verräter wie Pfahls sofort und ohne öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen den deutschen Partners überstellt worden. Warum nicht jetzt?

Es scheint nicht alles zum Besten bestellt zu sein in der Realität der deutsch-indonesischen Beziehungen. Wurde in deutschen Indonesienkreisen nicht schon zur Mitte der neunziger Jahren, mithin in den Zeiten der Männerfreundschaft Kohl-Suharto, ein namhaftes deutsches Unternehmen genannt, das trotz bester Verbindungen ernsthaft an einen Rückzug aus Indonesien dachte? Von schmutzigen Tricks und Erpressungsversuchen gegen den Geschäftsführer wurde gemunkelt. Auch andere Firmen hatten eigenartige Probleme in Suharto-Indonesien. Und nun Pfahls. Ist eine Eskalation annehmbar, dass militärunterstützte indonesische 'Taliban-' Milizen nicht nur australische Firmen, sondern auch deutsche Firmen beschießen, wenn es ihnen danach ist? Oder dass deutsche Touristen auf Bali, nachgewiesenermaßen ein Einsatzgebiet dieser Kräfte, angegangen werden? Der Zusammenhang liegt im gemeinsamen Link Militär. Hat Ost-Timor, seitdem es von Indonesien abgetrennt wurde, nichts mehr mit Jakarta zu tun, wie es uns die neue diplomatische Sprachregelung nahe legen will? Nein. Die Kräfte, die Ost-Timor ins Chaos gestürzt haben, sind weiterhin präsent und bilden ein potentielles Bedrohungspotential für Indonesien und das in Indonesien vertretene Ausland. Ihre Hintermänner, Verantwortlichen und Kommandeure sind immer noch da. Die Lage in Indonesien ist weit von einem inneren Frieden entfernt, die Politik gegenüber Indonesien mehr denn je ein Minenfeld. <>
 

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