Indonesien-Information Nr. 1/2 2000 (Ost-Timor)

UN-Kommission empfiehlt internationalen Menschenrechtsgerichtshof für Ost-Timor

"In Ost-Timor sind vor und nach dem Referendum über die Zugehörigkeit oder Loslösung von Indonesien schwerste Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen worden und die für die Gräueltaten Verantwortlichen müssen vor Gericht gestellt werden." So fasst die ehemalige Bundesjustizministerin und FDP-Abgeordnete, Frau Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die Ergebnisse der UN-Kommission zur Untersuchung der Menschenrechtsverletzungen in Ost-Timor zusammen, der sie als einzige Europäerin angehört.

Die Kommission, berichtete sie nach ihrer Rückkehr, habe aufgrund ihrer Untersuchungen keinen Zweifel daran, dass in der Zeit zwischen der Ankündigung der Volksbefragung im Januar 1999 durch den damaligen indonesischen Präsidenten Habibie und dem Tag des Referendums am 30. August 1999 eine geplante und systematische Kampagne zur massiven Einschüchterung der einheimischen Bevölkerung Ost-Timors stattgefunden hat. Die Palette der Menschenrechtsverletzungen reicht von Freiheitsberaubung, Folter und Vergewaltigung über grausame Behandlung und Verstümmlung bis hin zu Tötungen und Massenmord. Außerdem zwangen pro-indonesische Kräfte durch gezielten Terror viele Ost-Timoresen nach dem Referendum ihr Land zu verlassen. Über 200.000 Menschen sind in den indonesischen Teil Timors deportiert worden. Währenddessen wurde in Ost-Timor die Infrastruktur (private und öffentliche Gebäude, Energie- und Wasserversorgung) systematisch und landesweit zu etwa 70 Prozent zerstört. /Leutheusser-Schnarrenberger: Zeugen belegen schwere Menschenrechtsverletzungen in Ost-Timor vor und nach dem Referendum, Pressemitteilung vom 21.12.1999/

Verübt wurden die Gräueltaten von paramilitärischen Milizen im Zusammenwirken mit dem indonesischen Militär, mit dessen Kenntnis und dessen Duldung. "Ohne deren Unterstützung", betonte Frau Leutheusser-Schnarrenberger am 21.12.1999 vor der Presse in Berlin, "hätten Gewalt und Terror nicht dieses Ausmaß annehmen können."

Die Untersuchungskomission empfiehlt daher in ihrem Abschlussbericht an den Generalsekretär der Vereinten Nationen, einen internationalen Menschenrechtsgerichtshof -international human rights tribunal - einzurichten. Der Gerichtshof sollte seinen Sitz in der Region haben und vorzugsweise sollten auch Richter aus Ost-Timor und Indonesien ernannt werden.

Vom 23.-27. September 1999 trat die UN-Menschenrechtskommission (MRK) in Genf zu einer Sondersitzung zusammen, der vierten überhaupt in der gesamten Geschichte. Es galt, auf die Eskalation der Gewalt in Ost-Timor zu reagieren und darüber zu entscheiden, ob erste Schritte hin zu einem internationalem Tribunal gemacht werden sollten. Die MRK-Sitzung beauftragte den UN-Generalsekretär Kofi Annan, eine fünfköpfige Kommission einzusetzen. Neben Sabine Leutheusser-Schnarrenberger wurden Sonia Picado aus Costa Rica, Judith Sefi Attah aus Nigeria, A.M. Ahmadi aus Indien und Sir Mari Kapi aus Papua Neu Guinea berufen. Sie wurden mit der Aufgabe betraut, Informationen über mögliche Menschenrechtsverletzungen in Ost-Timor und Handlungen, die als Verbrechen gegen die Menschlichkeit gelten können, zu erheben und zusammenzutragen. Vom 18. November bis zum 14. Dezember reiste die Gruppe über das australische Darwin nach Ost-Timor und hatte dort ca. 160 Opfer gehört und deren Aussage aufgenommen. Sie trafen sich mit politischen und gesellschaftlichen Repräsentanten Ost-Timors sowie mit Vertretern der internationalen Institutionen. Die Ergebnisse ihrer Untersuchung haben sie zu Anfang des neuen Jahres dem Generalsekretär der Vereinten Nationen vorgelegt, der nun entscheiden wird, wie weiter zu verfahren ist.

Die Vertreter Ost-Timors, allen voran Bischof Belo und Xanana Gusmao, sowie Menschenrechtsorganisationen und Kirchen weltweit fordern, dass die Täter sich vor einem Internationalen Tribunal verantworten müssen. Obwohl auch die UN-Kommission genau zu diesem Ergebnis kommt, ist es für Kofi Annan kein leichtes Unterfangen, hierfür die nötigen politischen Mehrheiten zu finden. Es steht zu befürchten, dass China und Russland im Sicherheitsrat die Einsetzung eines Kriegsverbrechertribunals blockieren werden, stehen die Länder doch selbst im Rampenlicht der internationalen Kritik. Hier muss noch massiv politische Überzeugungsarbeit geleistet werden. Der UN-Generalsekretär könnte aber auch - erstmals in der Geschichte - selbst ein Tribunal einberufen. Doch es ist strittig, ob dies das gleiche Gewicht erhalten würde. /Sabine Hammer: UN-Kommission ermittelt - ein erster Schritt zu einem Kriegsverbrechertribunal, in: Misereor Aktuell 4/1999 S.8/

Außerdem scheinen die westlichen Staaten schon wieder zur Tagesordnung in puncto Indonesienpolitik übergegangen zu sein. Schon die Einberufung der Sondersitzung der UN-Menschenrechtskommission war eine schwierige Geburt. Auf Initiative Portugals brachte die EU einen Resolutionsentwurf ein, der die UN beauftragte, Untersuchungen einzuleiten. Indonesien, mit Unterstützung anderer asiatischen Staaten, wollte jedoch verhindern, dass seine Militärs vor einem internationalen Tribunal angeklagt werden. Die asiatische Ländergruppe schien zeitweise die Oberhand zu gewinnen. Ihr erbitterter Widerstand führte dazu, dass die westlichen Staaten den Vorschlag zunächst nur noch mit gebremster Energie vorantrieben. Nicht zuletzt wegen des hartnäckigen Lobbyings der Nichtregierungsorganisationen entschloss sich die Mehrheit der UN-Menschenrechtskommission nach einer Verlängerung der dramatischen Sitzung schließlich dann doch dazu, eine Untersuchungskommission zu empfehlen. "Hier zeigte sich deutlich, wie wichtig öffentlicher Druck - gewährleistet durch die Teilnahme von NROs im UN-Apparat ist, damit wichtige Menschenrechtsanliegen nicht als diplomatische Verhandlungsmasse missbraucht werden", so Sabine Hammer, die für Watch Indonesia! die Sondersitzung in Genf beobachtete. Doch damit war nur eine Hürde genommen. In den kommenden Wochen ging das Tauziehen hinter den Kulissen weiter, mit dem Ergebnis, dass sich die Reise der Untersuchungskommission nach Ost-Timor wieder und wieder verzögerte.

Die Bereitschaft der indonesischen Regierung die Untersuchungskommission zu unterstützen, war, so Frau Leutheusser-Schnarrenberger, nicht sehr ausgeprägt: So wollte die Kommission zur Erfüllung ihres Mandates nach West-Timor reisen, um sich dort ein Bild von der Situation der Flüchtlinge zu machen und Zeugenaussagen aufzunehmen. Doch die indonesischen Behörden verweigerten ihnen bis zum letzten Tag die Einreise. Am Abend ihrer Abreise aus Dili erhielten sie dann die Erlaubnis, nach Jakarta zu kommen, jedoch mit der Auflage, keine Untersuchung durchzuführen. Es war ihnen lediglich gestattet, "Gespräche zum Austausch unterschiedlicher Sichtweisen zu führen", ausgenommen waren Zeugen und Vertreter von Nichtregierungsorganisationen.

Die indonesische Außenminister wiederholte gegenüber der Untersuchungskommission den Standpunkt seiner Regierung, eine internationale Untersuchung sei überflüssig und man brauche die Einmischung der UN nicht. Zur Untersuchung der Rechtsverstöße habe man die Nationale Menschenrechtskommission Komnas Ham aufgefordert, eine Sonderkommission (KPP-HAM) zu bilden. Auch diese Kommission hat inzwischen einen Bericht vorgelegt, der ähnlich wie der UN-Bericht, zu dem Schluss kommt, die indonesische Armeeführung habe die systematische Einschüchterung und Zerstörung Ost-Timors zumindest toleriert, Milizen hätten Waffen, Training und finanzielle Unterstützung erhalten und Soldaten hätten sich an den Morden und Plünderungen beteiligt. Die Kommission fordert die Einrichtung eines Menschenrechtsgerichtes und sie empfiehlt dem Generalstaatsanwalt, die weitere Ermittlung und gegebenenfalls die Eröffnung eines Strafverfahrens gegen sechs Generäle, darunter der damalige Oberbefehlshaber General Wiranto. In einem 14-tägigen Tauziehen ist es Präsident Abdurrahman Wahid gelungen, General Wiranto von seinem Posten als Minister für Sicherheitsfragen zu suspendieren. Auch wurde dem Parlament inzwischen ein Gesetzesentwurf unterbreitet, der die Einrichtung von Menschenrechtsgerichten vorsieht. Doch all diese verdienstvollen Bemühungen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es erhebliche rechtliche und tatsächliche Schwiergkeiten gibt, Gerichtsverfahren gegen indonesische Militärs so durchzuführen, so dass sie den Maßstäben von unparteiisch und unbeeinflussten Verfahren genügen. /Leutheusser-Schnarrenberger, Presseerklärung: Internationaler Strafgerichtshof für Ost-Timor ist nicht vom Tisch, 28.03.2000/

Frau Leutheusser-Schnarrenberger hält daher eine alleinige Aufarbeitung der Verbrechen durch indonesische Institutionen für nicht möglich. Hierzu bedarf es einer internationalen Komponente. Im übrigen sei ost-timoresischen Opfer nicht zu zumuten, zur Aussage nach Jakarta zu reisen. Es sei jedoch für die Demokratisierung und den Aufbau eines Rechtsstaates in Indonesien enorm wichtig, die Menschenrechtsorganisationen und diejenigen Kräfte in der Regierung, die die Verantwortlichen vor Gericht bringen wollen, zu unterstützen. Hier sollte auch die Außenpolitik der Bundesregierung ansetzen. Die "Einmischung der UN in Sachen Ost-Timor wird von den zivilen Kräften geradezu als Hoffnung verstanden, endlich auch bei der Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen in Indonesien Fortschritte zu erzielen", so Leutheusser-Schnarrenbergers Eindruck.

Der bei der indonesischen Rechtshilfeorganisation PBHI tätige Anwalt Hendardi sieht hierin in zweierlei Hinsicht positive Auswirkungen auf Indonesien: Der Schritt würde den Teufelskreis der Straflosigkeit beenden, dessen sich das Militär bislang erfreute und wird ferner zu unseren Bemühungen beitragen, die politischen Rolle und Vorherrschaft des Militärs zu beenden. /UCAN German Service: Indonesien: Menschenrechtsaktivisten attackieren heftig die Regierung, 5.10.1999/

Auch Generalstaatsanwalt Marzuki Darusman bekräftigte gegenüber der UN-Kommission, dass er internationale Unterstützung bei den Bemühungen, die Verantwortlichen für die Verbrechen vor Gericht zu bringen, für sehr hilfreich hält.

Das Mandat der UN-Untersuchungskommission umfasste auch die Zusammenarbeit mit Komnas Ham. Die von Komnas Ham eingerichtete Sonderkommission KPP-HAM, so der Eindruck von Frau Leutheusser-Schnarrenberger, sei sehr bemüht, zur Aufklärung beizutragen. KPP-HAM hat in den letzten Wochen in Jakarta Generäle und Milizenführer zum Verhör vorgeladen; ein mutiges Unterfangen. Desweiteren hob Sabine Leutheusser-Schnarrenberger die Arbeit der indonesischen Kommission in West-Timor hervor. Die hatte dort drei Massengräber entdeckt. Bei den Toten handelt es sich um einzelne Opfer des Massakers von Suai am 6. September 1999. Pro-Indonesische Milizen hatten nach der Evakuierung internationaler Zeugen, wie UNAMET-Mitarbeitern und unabhängiger Wahlbeobachter, die ansässige Dorfbevölkerung von Suai und Flüchtlinge, die auf dem Kirchengelände Zuflucht gesucht hatten, angegriffen und massakriert. Darunter waren auch drei katholische Priester. Frau Leutheusser-Schnarrenberger wurde Zeugin, wie die Leichen nach Suai zurückgebracht und identifiziert wurden. Inzwischen sind in West-Timor weitere Gräber entdeckt worden.

Die Tatsache, dass in Ost-Timor bislang keine großen oder umfangreichen Massengräber gefunden wurden, wie dies auf dem Balkan der Fall sei, heiße keineswegs, dass es nur wenige Tote gegeben hätte. Es sei mehr als leichtfertig, warnt Frau Leutheusser-Schnarrenberger, zu behaupten, es hätte nur einige Hundert Opfer gegeben. Dies hatte Volker Neumann, SPD, nach seiner Rückkehr aus Darwin/Australien und Ost-Timor gegenüber der taz behauptet. /taz, 16.12.1999/ Es werden in Ost-Timor Gräber mit 5- 10, manchmal auch bis zu 50 Leichen und Leichenteilen gefunden. Gerade die in West-Timor entdeckten Gräber zeigen, dass die Täter die Leichen gezielt und in erheblichem Umfang weggeschafft hätten. Die UN-Kommission hat hierzu etliche Zeugenaussagen aufgenommen. Leichen wurden auch in Seen geworfen und mit Schiffen aufs Meer hinausgefahren und dort versenkt. Nach offiziellen INTERFET-Angaben, sind bislang 1650 Leichen geborgen worden. /The Australian:Mass vanishing remains a mystery, 08.01.2000/

Im Interesse der Glaubwürdigkeit der Menschenrechtspolitik der Vereinten Nationen ist die Kommission der Auffassung, daß von einer Verfolgung, Ahndung sowie - sofern überhaupt möglich - von einer Wiedergutmachung der Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht abgesehen werden darf. /Leutheusser-Schnarrenberger: Zeugen belegen schwere Menschenrechtsverletzungen in Ost-Timor vor und nach dem Referendum, Pressemitteilung vom 21.12.1999/

Im Gespräch mit dem indonesischen Verteidigungsminister beklagte Frau Leutheusser-Schnarrenberger, dass die Milizen in West-Timor noch immer ungehindert Flüchtlinge terrorisieren und den Zugang zu den Lagern behindern. Juwono Sudarsono wiederholte daraufhin das allseits bekannte Argument, die Milizen hätten sich verselbständigt und man könne der Sache nicht mehr Herr werden. Erst als Frau Leutheusser-Schnarrenberger insistierte, dies käme einer Bankrotterklärung gleich und es würde offensichtlich am politischen Willen fehlen, die Milizen zu verhaften, räumte Sudarsono Schwierigkeiten durch die enge Verflechtung zwischen Milizen und Militär ein.

Frau Leutheusser-Schnarrenberger appellierte an die deutsche Regierung, sich gegenüber der indonesischen Regierung für eine schnelle und sichere Rückkehr der Ost-Timoresen in ihre Heimat einzusetzen. Außerdem müssten jene Kräfte in Indonesien unterstützt werden, welche die verantwortlichen Militärs vor Gericht bringen wollen. Eine solche Politik würde Indonesiens neue Regierung in ihrem Bemühen um Demokratisierung stärken. Sie hofft, dass die Bundesregierung sich auf jeden Fall die Empfehlungen der UN-Untersuchungskommission zu eigen macht. Es dürfe keine Straflosigkeit der Verantwortlichen geben und daher muss die Option eine internationalen Strafgerichtshofes aufrechterhalten werden um dann gegebenenfalls mit Nachdruck umgesetzt zu werden. Dies wäre die konsequente Fortsetzung einer Außenpolitik, die sich an Menschenrechten orientiert. Ein erneutes "Wegschauen" jedenfalls helfe nicht. Man könne, nachdem was in Ost-Timor geschehen ist, nicht einfach wieder zur Tagesordnung übergehen. <> mo
 

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