Indonesien-Information Nr. 1/2 2000 (Politik)

Der Blinde und die Stumme

Alex Flor

'Suksesi' lautete über viele Jahre hinweg eine der meistgebrauchten Vokabeln, wenn in Indonesien über Politik diskutiert wurde. 'Suksesi' bedeutet Nachfolge. Der Begriff stand für die Frage, wer dem alternden Diktator Suharto eines Tages als dritter Präsident der Republik folgen würde. Hinter der scheinbar harmlosen Frage verbarg sich ein Problem von nicht unerheblicher politischer Brisanz: Wie könnte das in fast 35 Regierungsjahren völlig auf Suharto und seine Familie ausgerichtete Staatswesen, insbesondere die zahlreichen wirtschaftlichen Privilegien, derer sich der Suharto-Clan erfreuen durfte, in eine neue Zeit hinüber gerettet werden? Oder sollte an jenem Tag X, also spätestens, wenn der Diktator das Zeitliche segnen würde, womöglich eine Veränderung der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse ins Hause stehen?

Wohlwissend, dass jedes Nachdenken über die Zukunft des Staates unweigerlich in harscher Kritik an seiner Amtsführung enden musste, verbat sich Suharto jede Diskussion um die 'Suksesi' ebenso wie die öffentliche Erörterung seines Gesundheitszustandes. Die Nachfolge im Falle seiner Abdankung oder seines Ablebens sei per Verfassung geregelt, alles weitere werde sich finden. Es war der verzweifelte Versuch, seiner Herrschaft den Anstrich der Legitimität zu geben.

Entsprechend unvorbereitet war die Gesellschaft als der Patriarch im Mai 1998 schließlich doch zur Abdankung gezwungen wurde und konsequent bis zum Schluss verfassungsgemäß den damaligen Vizepräsidenten Habibie zu seinem Nachfolger vereidigen ließ. Obwohl sich Habibie unter dem Druck der Wirtschaftskrise, des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der reformhungrigen Studentenbewegung Mühe gab, die schlimmsten Verfehlungen der SuhartoÄra zu mildern, galt er doch stets als Günstling Suhartos und mithin als Vertreter des alten Systems. Von Anfang an wurde Habibie allseits als Übergangspräsident gehandelt und wieder war die Diskussion beherrscht von der Frage: Wer wird der nächste Präsident Indonesiens?

Das schweigende Symbol

Aus den Parlamentswahlen im Juni 1999 war die Demokratische Partei PDIP von Megawati Soekarnoputri, der Tochter des ersten Präsidenten Soekarno und Symbolfigur des Widerstandes gegen Suharto, als stärkste Fraktion hervorgegangen, verfehlte jedoch bei weitem die absolute Mehrheit. Trotzdem galt sie seitdem als TopFavoritin für die im Oktober 1999 anstehende Wahl des Präsidenten durch die Beratende Volkversammlung (MPR). Doch ungeachtet ihrer zweifellos hohen Beliebtheit vor allem in den unteren und mittleren Bevölkerungsschichten wurden auch starke Zweifel an ihren politischen Fähigkeiten laut. Manch einer war enttäuscht, dass Megawatis Protest auf ihre 1996 politische Kaltstellung durch das Regime allzu verhalten ausgefallen war. Spätestens nachdem bei der anschließenden Stürmung des PDIBüros in Jakarta etliche ihrer Anhänger getötet und andere für ihr Engagement mit Verfolgung und Gefängnis bestraft wurden, hätte man ein offenes Wort Megawatis, eine Solidaritätsadresse oder zumindest ein Dankeschön von ihr erwartet. Aber Megawati schwieg. Megawati schwieg auch, als Indonesien 1997 von der Asienkrise heimgesucht wurde und sich Suhartos Amtszeit dem Ende näherte. Manch einer, der bis dahin geschwiegen hatte, erkannte die Gunst der Stunde und sparte plötzlich nicht mehr mit Kritik an dem in Bedrängnis geratenen Diktator. Nur nicht Megawati, von der sich so viele erhofften, dass sie in dieser Situation die Meinungsführerschaft übernehmen würde. Später im Wahlkampf 1999 entfaltete Megawati ebenfalls kaum Profil und beschränkte sich auf wenige Auftritte bei Kampagnenveranstaltungen vor der eigenen Anhängerschaft. Dabei gab sie sich als Nationalistin zu erkennen und agitierte gegen die Unabhängigkeit OstTimors. Zahlreiche Militärs im Ruhestand, die sich inzwischen ihrer Partei angeschlossen hatten, bestärkten sie auf diesem Kurs.

Konkurrierenden Parteien fehlte es also nicht an guten Argumenten, die sich gegen die Präsidentschaftskandidatin Megawati hätten verwenden lassen. Die zersplitteten Islamparteien, die bei den Parlamentswahlen unerwartet schlecht abgeschnitten hatten, meinten jedoch eine andere Schwäche Megawatis ausfindig gemacht zu haben: Megawati ist eine Frau. In einer beispiellosen Kampagne wurde polemisiert, warum eine Frau unmöglich Präsidentin eines islamischen Staates werden könne. Rationale Einwände wie der, dass Indonesien doch gar kein islamischer Staat sei oder der Verweis auf Gegenbeispiele aus Pakistan und Bangladesh zählten in dieser Debatte wenig. Das Zünglein an der Waage

Es war schließlich Amien Rais, eine der führenden Oppositionsfiguren während der letzten Monate des Suharto-Regimes, der es verstand diese Stimmung für sich zu nutzen. Vor den Parlamentswahlen 1999 noch als einer der Favoriten gehandelt, musste sich seine Partei PAN (Partai Amanat Nasional) nach der Stimmauszählung mit weniger als 10 % der Wählerstimmen zufrieden geben eine herbe Enttäuschung für Amien Rais, dessen Ehrgeiz dem eines Jürgen Möllemann in nichts nachsteht. Ähnlich dem Erfolgsrezept der F.D.P. versuchte Amien Möllemann nun, als "Zünglein an der Waage" entscheidenden Einfluss auf die Regierungsbildung nehmen zu können. Da unter den vielen im Parlament vertretenen Parteien PAN auf sich allein gestellt auch für diese Rolle noch zu schwach war, formierte Amien Rais um sich herum die so genannte "Poros Tengah" Mittelachse, die sich vornehmlich aus den kleinen islamischen Parteien rekrutierte. Das gemeinsame Ziel der "Poros Tengah" bestand darin, Megawati als Präsidentin zu verhindern und dabei gleichzeitig so viel Macht wie irgend möglich auf sich selbst zu vereinen. Amien Rais schreckte nicht davor zurück, nun ausgerechnet eine Kandidatur Abdurrahman Wahids zu unterstützen, obwohl bekannt ist, dass Amien als Führungsfigur der Moslemvereinigung Muhammadiyah und Abdurrahman Wahid als Vorsitzender der "konkurrierenden" Nahdlatul Ulama (NU) sich seit Jahren spinnefeind sind. Die Rolle als Königsmacher gefiel Amien Rais dennoch, nicht zuletzt da er sich auf Grund dieser Rolle den Prestigeposten des Sprechers der Beratenden Volksversammlung (MPR) sichern konnte.

Der blinde Religionslehrer

Abdurrahman Wahid wurde nie ernsthaft als Anwärter auf das Amt des Präsidenten gehandelt. Gus Dur, wie er in Indonesien gerne genannt wird, genoss zwar hohes Ansehen als Führer der Nahdlatul Ulama (NU), der Vereinigung der Religionslehrer, die mit schätzungsweise 40 Mio. Mitgliedern die größte moslemische Organisation weltweit ist und von Abdurrahman Wahids Großvater gegründet worden war. Aber Gus Dur war nie Politiker, wenngleich er in der Vergangenheit immer wieder zu politischen und gesellschaftlichen Fragen Stellung genommen hat. Er steht in gutem Kontakt zu vielen Nichtregierungsorganisationen und war selbst aktiv im "Forum Demokrasi", einer Suhartokritischen Gruppe von Prominenten und Intellektuellen. Seine liberale Gesinnung speziell in Religionsfragen verhalf ihm zu großer Beliebtheit bei Christen und ethnischen Chinesen.

Doch ausgerechnet im Mai 1998, als die ethnischen Chinesen des Schutzes am dringendsten bedurft hätten, musste sich Gus Dur von zwei kurz zuvor erlittenen Schlaganfällen erholen. Aufgrund einer schweren Diabetes ohnehin fast blind, sitzt er seither im Rollstuhl und ist nur mit Hilfe anderer in der Lage, wenige Schritte zu gehen.

Gus Dur ist aber auch bekannt für taktische Winkelzüge, die selbst für ihm Nahestehende oftmals nur schwer nachvollziehbar sind. Typisch sind auch die kryptischen Anmerkungen, mit denen er häufig politische Ereignisse kommentiert, und nicht zuletzt sein manchmal bissiger Humor: "Ausgerechnet ein Blinder wird zum ersten Präsidenten dieses Landes, der die Zeitung liest," sagte er kurz nach seiner Amtseinführung /Financial Times, 25.10.99/.

Gus Dur ist befreundet mit Megawati Soekarnoputri, die sich seiner politischen Unterstützung lange Zeit sicher fühlen durfte. Die Gründung einer eigenen, der NU nahestehenden, Partei (PKB) wurde daher zunächst als der Versuch gedeutet, mittels Gus Durs Popularität im islamischen Lager Stimmen für eine Koalition mit Megawatis PDIP zu fangen. Doch die Dinge sollten sich anders entwickeln.

Das Kabinett der nationalen Einheit

Taktiererei, geheime Absprachen, Aufstellung von Kandidaten und Rückzieher machten die Wahl im Oktober 1999 zu einem bis zur letzten Minute spannenden Krimi. Verständlicherweise fühlten sich die Anhänger Megawatis, die letztlich gegen Wahid in einer Kampfabstimmung unterlag, um ihren klaren Wahlsieg bei den vorausgegangenen Parlamentswahlen betrogen. Es kam zu spontanen Protesten in mehreren Städten, die zum Teil in Zerstörungswut endeten. Erst als am nächsten Tag Megawati zur Vizepräsidentin gewählt wurde, wandelten sich die Proteste in Freudenkundgebungen.

Neben den politischen "Neulingen" Abdurrahman Wahid, Megawati Soekarnoputri und Amien Rais und ihrer jeweiligen Gefolgschaft gab es natürlich noch zwei weitere politische Kräfte, an denen auch zwei Jahre nach dem Ende des SuhartoRegimes niemand vorbeikommt: die ehemalige Regierungspartei GOLKAR (Vorsitzender: Akbar Tandjung) und das Militär (damaliger Oberbefehlshaber: General Wiranto). Sie alle mussten bei der nun anstehenden Regierungsbildung berücksichtigt werden. "Also machten Pak Amien, Pak Akbar, Pak Wiranto, Mbak Mega und ich selbst einen Kuhhandel und als Ergebnis haben wir ein Kabinett wie dieses", sagte Abdurrahman Wahid eine Weile später /South China Morning Post, 6.12.99/. "Ein Kabinett wie dieses" das war ein bunt zusammengewürfeltes Team von Ministern, das offiziell als "Kabinett der nationalen Eineit" betitelt so ziemlich alle Quoten berücksichtigte, die man sich vorzustellen vermag: das Militär stellte wie gewohnt mehrere Minister, musste sich aber erstmals einen Zivilisten als Verteidigungsminister gefallen lassen, um auch die militärkritischen Geister milde zu stimmen. Damit sich niemand benachteiligt fühlen musste, fiel für jede noch so kleine im Parlament vertretene Partei mindestens ein Ministerposten ab, wobei insgesamt sich die Zahl der Reformer und die Zahl der Vertreter des ´ancient regime´ sich in etwa die Waage hielten.

Um ethnische Minderheiten und nach Unabhängigkeit strebende Völker bei Laune zu halten, gab es Minister chinesischer Abstammung sowie Minister aus Aceh und Papua (Irian Jaya). Nur die Frauenquote kam ein klein wenig zu kurz: neben Vizepräsidentin Megawati fanden sich unter den 35 Kabinettsmitgliedern nur zwei Frauen eine davon auf dem klassischen Posten der Frauenministerin. Besser bestellt war es dagegen um die Behindertenquote; die Zusammenarbeit mit Vizepräsidentin Megawati beschrieb Abdurrahman Wahid mit dem ihm typischen Humor: "Wir geben ein perfektes Team ab. Ich bin blind und sie ist stumm" /Financial Times, 25.10.99/.

Gleichzeitig wurde das als korrupt und ineffizient angesehene Sozialministerium, wie auch das Informationsministerium, das in den Jahren unter Suharto vor allem durch seine Pressezensurmaßnahmen bekannt geworden war, geschlossen. Neu geschaffen wurden das Amt eines Ministers für Menschenrechte, eines Ministers für regionale Autonomie und eines Ministers für maritime Angelegenheiten. Die Schaffung dieser neuen Ministerämter stand symbolisch für neue politische Ausrichtungen. Das Ergebnis all dieser Maßnahmen, war eine bunte Mischung von verantwortlichen Ministern, die in der Presse oft als Regenbogenkabinett bezeichnet wurde. "Es gibt da Minister, die ich erst jetzt kennengelernt habe," kommentierte der frischgebackene Präsident sein vielgesichtiges Kabinett /South China Morning Post, 6.12.99/.

Die Konstruktion, alle politischen Kräfte an der Regierung zu beteiligen, brachte mit sich, dass es keine Trennung zwischen Oppositions und Regierungsparteien gab ein Modell, das den Indonesiern mit etwas anderer Akzentuierung aus der Ära der ´Neuen Ordnung´ vertraut ist. Da aber anders als damals Opposition grundsätzlich erlaubt und sogar erwünscht ist, hatte dies zur Folge, dass verschiedene Parteienvertreter ihre Oppositionspolitik nun am Kabinettstisch ausübten, worunter die Arbeitsfähigkeit der Regierung litt. Parteipolitische Interessen führten zur Blokkade wichtiger Entscheidungen. Den schwierigen Aufgaben, eine Reform von Verwaltung und Justiz durchzuführen, die Korruption in den Griff zu bekommen, angemessen auf regionale Konflikte und Abspaltungsbewegungen zu reagieren sowie last but not least die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen, die Schuldenproblematik zu bewältigen und sich somit längerfristig aus der völligen Abhängigkeit vom Internationalen Währungsfonds zu befreien, war diese schwache Regierung nicht gewachsen.

Wachsende Kritik an Wahids Amtsführung

Die ungelösten Probleme führten zur wachsenden Unzufriedenheit mit der Regierung Wahid. Die Vorschusslorbeeren waren schnell aufgebraucht. Nur ein halbes Jahr nach seiner Amtsübernahme war eine in der Presse häufig zu lesende Einschätzung: "The honeymoon is over." Abdurrahman Wahid wurde kritisiert, weil er zu viele Auslandsreisen unternehme und seine Hausaufgaben vernachlässige. Wahid schuf ein Dickicht an Wirtschaftsberatungsgremien, versäumte dabei aber eine klare Linie in der Wirtschaftspolitik erkennen zu lassen. Einen kräftezehrenden Machtkampf mit Armeechef Wiranto konnte Wahid zunächst für sich entscheiden, indem er Wiranto zum Rücktritt von seinem Ministeramt zwang. Die innerhalb der Regierung herrschende Uneinigkeit über Wirtschaftsfragen versuchte er aber ebenfalls mit einer Kabinettsumbildung zu lösen, der die Minister für Industrie und Handel, Jusuf Kalla (GOLKAR) und der weithin angesehene Minister für Investitionen und Staatsbetriebe, Laksamana Sukardi (PDI), zum Opfer fielen. Die mit fadenscheinigen Argumenten begründete Entlassung von Laksamana Sukardi, einem engen Vertrauten von Vizepräsidentin Megawati, sorgte für einen Sturm der Entrüstung. Laksamana ist ein enger Vertrauter von Megawati Soekarnoputri, die durch den Rausschmiss brüskiert wurde. Darum wissend, dass ein weiterer enger Gefolgsmann, Wirtschaftsminister Kwik Kian Gie, ebenfalls auf der Abschussliste stand, reagierte Megawati auf die Weise, die sie am besten beherrscht: sie schwieg. Kwik Kian Gie schmiss schließlich unmittelbar vor der Sitzung der Beratenden Volksversammlung (MPR) entnervt von sich aus das Handtuch.

Präsident Gus Dur, wie er mit Spitznamen genannt wird, verwickelte sich in weitere Skandale. Unseriöse Praktiken an der Spitze der staatlichen Versorgungsbehörde BULOG und ein undurchsichtiger Geldtransfer des Sultans von Brunei für humanitäre Hilfe in Aceh, die an Gus Dur privat ausgezahlt wurde, machten als Buloggate und Bruneigate Schlagzeilen. Des weiteren scharte Abdurrahman Wahid Leute um sich, denen er vertrauen konnte, beispielsweise seine Tochter, die ihm u.a. behilflich ist Schriftstücke vorzulesen, die er aufgrund seiner Blindheit selbst nicht lesen kann. Schnell wurde gemutmaßt, dass die Tochter eine Gruppe von "whisperers" anführt, die ihre Nähe zum Präsidenten für bestimmte Zwecke ausnutzen. Und immer wieder wird Gus Durs Gesundheitszustand problematisiert: Kann ein derart kranker Mann seine Pflichten als Präsident erfüllen? Die freizügige öffentliche Erörterung dieser unter Suharto tabuisierten Frage ist vielleicht das deutlichste Zeichen, dass es in Indonesien doch einige neue bürgerliche Freiheiten gibt.

Zugeständnisse an Gus Durs Gegner

Der während der vergangenen Monate schärfste Kritiker Gus Durs war ausgerechnet der Mann, der ihm als Königsmacher ins Amt verholfen hatte: Amien Rais. Die Quasi-Opposition ließ Gus Durs Pläne einer Annäherung an Israel platzen und verweigerte ihm die Zustimmung als Gus Dur vorhatte, das Verbot kommunistischer Lehren aufzuheben. Die MPR erklärte dem als zu nachgiebig angesehenen Kurs des Präsidenten gegenüber der Separatismusbewegung in West-Papua eine Absage und bestand darauf, die von Gus Dur zugestandene Umbenennung Irian Jayas in Papua, zu annullieren. Das Militär konnte als Erfolg verzeichnen, der MPR den vorläufigen Verbleib in der Politik abgerungen zu haben. Anstatt wie vorgesehen im Jahre 2004 die verbliebenen 38 fürs Militär reservierten Sitze im Parlament abzuschaffen, beschloss die MPR unlängst, dem Militär bis zum Jahr 2009 Sitze in der Volksversammlung zuzugestehen. Schließlich verabschiedete die MPR noch eine neue Verfassungsklausel, die es verbietet, jemanden wegen Verbrechen zur Verantwortung zu ziehen, die zum Zeitpunkt der Tat noch nicht verboten waren. Dieses scheinbar rechtsstaatliche Prinzip soll dazu dienen, Prozesse gegen Militärs wegen zurückliegender Menschenrechtsverletzungen in Ost-Timor und anderswo zu vereiteln.

Diese Zugeständnisse waren vergleichsweise harmlos, wenn man in Betracht zieht, dass einige Wochen vor der MPRSitzung noch damit gedroht wurde, den Präsidenten mittels eines Misstrauensvotums des Amtes zu entheben. Letztlich scheint ihre staatsmännische Verantwortung die Abgeordneten davon abgehalten zu haben, diesen Schritt wirklich zu vollziehen, da dies zweifellos bedeutet hätte, dass in Indonesien auf absehbare Zeit einmal im Jahr ein Präsident gestürzt worden wäre und politische Stabilität auf Jahre hinaus ein Traum geblieben wäre. Vielleicht haben die Delegierten aber auch einfach noch mal in der Verfassung nachgelesen und festgestellt, dass im Falle der Amtsenthebung Wahids automatisch die Vizepräsidentin seine Position übernommen hätte. Neben den genannten politischen Entscheidungen wurde Wahid aber unmissverständlich dazu aufgefordert, die Regierung umzubilden. Diesem Wunsch kam Gus Dur auf seine Weise nach, indem er zunächst erklärte, ab sofort sei Vizepräsidentin Megawati für die Tagesgeschäfte verantwortlich, während er selbst sich mehr repräsentativen Aufgaben sowie der Außenpolitik widmen wolle. Die Zeitungen deuteten dies übereinstimmend als Selbstentmachtung, bis Abdurrahman Wahid einige Tage später nachlegte und erklärte, er habe keineswegs Verantwortung abgegeben, sondern Pflichten. Mit diesem Schachzug stellte er Megawati bewusst vor eine Bewährungsprobe. Politische Misserfolge können nunmehr nicht mehr alleine ihm selbst zugeschrieben werden und Megawati droht Popularität einzubüßen, sollte sie sich erwartungsgemäß nicht in der Lage zeigen, die vielfältigen Probleme in den Griff zu bekommen. Gleichzeitig unterwarf Gus Dur sein Kabinett einer radikalen Abspeck-kur. Das neue Kabinett umfasst nur noch 26 Sitze. Weggefallen sind unter anderem die gerade erst eingeführten Ministerposten für Menschenrechte und regionale Autonomie, die mit anderen Ministerien zusammengelegt wurden. Des Regenbogenkabinetts müde umgab sich Gus Dur nun mit Anhängern seiner Partei PKB, die vier Ministerposten abbekam, und parteiungebundenen Professionellen. Auf heftige Kritik stieß die Ernennung des Bankers Prijadi Praptosuhardjo zum neuen Finanzminister. Seine Qualifikation wird in Zweifel gezogen, da er erst kürzlich die Eignungsprüfung als Direktor der staatlichen Bank BRI (Bank Rakyat Indonesia) verpatzte. Sein geschasster Vorgänger, der von Amien Rais´ PAN nominiert worden war, nannte das neue Team unter Anspielung auf die SuhartoÄra abfällig ein Crony-Kabinett. Höchst unzufrieden ist auch die PDIP, die als stärkste Fraktion im Parlament im neuen Kabinett völlig unterrepräsentiert ist.

Vielleicht führt dieses neue auf die Person des Präsidenten zugeschnittene Kabinett tatsächlich dazu, dass die Arbeitsfähigkeit der Regierung verbessert wird. Falls nicht, dürfte es sich in Kürze einer stärker werdenden Opposition im Parlament ausgesetzt sehen. Ob selbige aber die Regierung ernsthaft gefährden kann, darf trotzdem bezweifelt werden, solange die beiden Zünglein an der Waage, "Poros Tengah" und das Militär, die sich gleichmäßig auf Regierung und Opposition verteilen, nicht ähnlich vor den Kopf gestoßen werden wie Megawatis PDIP. <> -af-
 

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